Time to say goodbye?

Kaum ist der Klassiker fast durchrepariert, ploppt oft schon die nächste Versuchung auf. Mir ist gerade eines meiner Traumautos angeboten worden. Soll ich Hein tschüss sagen?

Nur gucken, nicht anfassen.

Der Autonarr an sich ist ein komisches Geschöpf. Meist besitzen Menschen dieser Gattung  zwei oder drei Fahrzeuge und opfern für die Objekte ihrer Begierde viel hartverdientes Geld und noch mehr Freizeit. Oft können Autonarren die To-Do-Listen, die sie in harten Schraubersitzung an ihren Autos noch abarbeiten müssen, sogar im Schlaf aufsagen. Neben der Schrauberei, Fahrerei und Pflegerei kommt aber meist noch eine große Sammlung an Automobilia dazu. Werkstatthandbücher, kleine Modelle, Werbematerial und Bedienungsanleitungen passend zum Auto füllen häufig ganze Vitrinen, wenn nicht sogar ein ganzes Zimmer. Bei so einem großen Aufwand für einen reinen Zeitvertreib sollte man doch denken, dass es für den Autonarren nichts Schöneres geben kann, als eine To-Do-Liste, die nur noch aus den Worten „fahren und genießen“ besteht. Doch komischerweise ist so ein Autonarr anscheinend nie wirklich zufrieden…

Vor ein paar Tagen wachte ich auf und fühlte mich total gerädert. Anscheinend traf ich genau den Geschmack von einigen Grippeviren, die sich in ihren Kopf gesetzt hatten, nun erst einmal ganz intensiv Zeit mit mir zu verbringen. Das mag sich jetzt vielleicht erst einmal romantisch anhören, doch ich fand das irgendwie ein bisschen doof. Ich mag nicht gerne krank sein – aber wer mag das schon? Ganz besonders hasse ich es, stundenlang fiebernd im Bett zu liegen und darauf zu warten, dass der Tag endlich rum ist. Um mir die Zeit ein wenig zu vertreiben, tat ich das, was so viele Benzinblütler tun, wenn sie gerade nichts zu tun haben: Ich schmiss meinen alten Laptop an und schaute nach Autoinseraten. Eigentlich suche ich nichts mehr. Momentan fahren alle Fuhrparkmitglieder (Auch die Hercules – Geschichte folgt!), doch die To-Do-Listen sind noch lang genug, um mich ein paar Jahre zu beschäftigen. Aber gucken kann man ja mal.

One in a Million

Ich weiß wirklich nicht, warum sich so viele Leute aufregen, dass das Angebot an guten, alten Autos praktisch nicht mehr vorhanden ist. Ich fand einige, augenscheinlich gute und realistisch eingepreiste Old- und Youngtimer. Vielleicht mögen das jetzt nicht die Traumwagen schlechthin sein, aber aus einem alten Peugeot 309 oder einem Mazda 323 können mit etwas Kreativität auch echt schicke Klassiker werden. Der überwiegende Teil der Anzeigen war aber (wie erwartet) überteuerter Schrott. Es ist schon lustig zu sehen, dass einige Leute meinen, sie könnten tausende von Euro für ein Wrack verlangen, das realistisch gesehen vielleicht noch den Marktwert einer Kiste Bier hat. Aber über soetwas rege ich mich schon lange nicht mehr auf. Ich muss eher darüber lachen, wenn Leute schreiben, dass das angebotene Auto keine „Durchforstungen“ hat oder praktisch ohne Aufwand eine frische HU bekäme.

Aber ganz unter uns: So lustig einige Inserate auch sein können – eigentlich hoffen wir doch alle nur, dass wir irgendwann auf ein Inserat stoßen, das unseren Traumwagen zum Kauf bewirbt. Am besten noch für ’nen Appel und ’n Ei.  Ich habe noch sechs Autos, die ich in meinem Leben noch gerne einmal besitzen möchte. Es ist kein abgehobener Sportwagen dabei, alles mehr so „Brot-und-Butter“-Fahrzeuge, die dabei auch nach „Priorität“ geordnet sind. Einige hätte ich ganz gerne einmal, andere auf alle Fälle. Und wie es das Glück so wollte, fand ich neulich das Auto, das den Platz 1 auf meiner Liste hat. Erst glaubte ich an einen Fieberwahn, denn der Preis war so realistisch, dass ich es kaum glauben konnte. Aber noch viel gefährlicher war der Standort: Gerade einmal zweieinhalb Stunden Fahrt stand das inzwischen selten gewordene Auto entfernt.

Bei Risiken und Nebenwirkungen….

Es hört sich jetzt vielleicht doof an, aber mein Herz pumpte in dem Moment wie verrückt. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade eine blaue Mauritius gefunden. Oder das Bernsteinzimmer. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Sechser im Lotto gewonnen. Ich war so aufgeregt wie vor dem Antritt einer Reise, bereit dafür, jedes Abenteuer mitzumachen. Insgeheim sah ich mich noch am selben Abend einen Anhänger mieten und in Richtung Süden fahren. Doch die ganze Euphorie hielt nur gut eine halbe Stunde an. Erst dann nahm ich die rosafarbene Brille ab und merkte, dass ich – obwohl der Wagen wirklich fair eingepreist war – schlichtweg kein Geld dafür hatte. Als Student, der für sich und seine Autos nebenbei noch arbeiten geht, hat man halt nicht einmal eben ein paar Tausender übrig, die man einfach so für ein weiteres Auto entbehren kann. Es ist schon schwer genug, den aktuellen Fuhrpark zu unterhalten.

Immer noch etwas blind vor Liebe, kam für mich also nur eine Sache infrage: Es musste ein Auto gehen, damit ich mir einen Traum erfüllen kann. Doch welches? Mein 2003er Volvo V40 namens Elch, der nicht nur der neuste Wagen im Fuhrpark, sondern auch mein erstes Auto ist? Niemals. Zu viele schöne Erinnerungen verbinde ich mit dem Wagen. Und wert ist er sowieso nichts mehr. Harald, mein treuer Dieseldackel? Auch nicht wirklich. Er fährt zuverlässig, ist sparsam und für einen 18 Jahre alten Golf Diesel, der schon fast einmal von der Erde zum Mond gefahren ist, bekommt man auch nur noch einen feuchten Händedruck. Von Henkelmännchen, das Golf Cabriolet von 1980 mag ich mich nach zehn Jahren auch nicht mehr trennen. Über einen Verkauf von Elsa dachte ich gar nicht erst nach. Es blieb also nur noch einer übrig: Hein, mein rostiger W124.

Eindeutig Hassliebe

Recht schnell stand für mich fest, dass die alte, schwarze Limousine tatsächlich ein neues Zuhause finden sollte. Zu sehr hatte mich der alte Kahn in diesem Jahr schon genervt. Okay, dass der Mittelschalldämpfer auseinanderrostete – geschenkt. Das kann jedem einmal passieren. Aber all der Pfusch und die Defekte, die die Werkstätten und die Vorbesitzer der letzten dreißig Jahren zu verantworten haben, gingen mir schon ziemlich auf den Keks. Dazu kam noch der Rost, der fleißig an allen Ecken und Enden blüht. Am Ende der Saison spielte zudem das Standgas verrückt. Während Hein im kalten Zustand bei 2000 Umdrehungen Leerlaufdrehzahl vor sich hinjubelte, wurde er im warmen Zustand so müde, dass er schlichtweg ausging. Noch nie war ich so froh, ein Auto in den Winterschlaf schicken zu müssen. Hein hatte es sich bei mir verspielt. Dachte ich, als ich die Telefonnummer wählte und beim Verkäufer meines Traumautos anrief.

Hein war ja nie ein Traumauto von mir – eher so ein Mittel zum Zweck. Eigentlich wollte ich ihn ja gar nicht haben, als ich vor fast zwei Jahren kaufte. Meine Klappe war einfach zu groß – und der Verkäufer ging ganz überraschend auf mein eigenlich freches Angebot ein. Wobei es gar nicht so frech war, denn nachdem ich damals schon überlegt hatte, Hein vielleicht doch abzustoßen, investierte ich noch eine Menge Arbeit in ihn. Um es im Innenraum aushalten zu können, musste ich den erst einmal wirklich ausgiebig reinigen. Auch das Fahrwerk brauchte Arbeit. Und die Bremsen. Nichts, aber auch wirklich gar nichts lief dabei glatt. Überall ging irgendwo irgendetwas schief. Beim Versuch, den Wagen zu schweißen, katapultierte ich mich sogar selbst ins Krankenhaus. Unsere Beziehung war also von Anfang an etwas… naja… angespannt.

Hein oder Nichthein?

Doch trotzdem behielt ich ihn. Eigentlich nur, weil er ziemlich günstig im Unterhalt ist und er mich auch nicht so viel Geld gekostet hatte. Mit der Zeit gewöhnten Hein und ich uns dann aber doch irgendwie aneinander. Aber das ist wohl auch kein Wunder, schließlich habe ich über 20 000 Kilometer in zwei Jahren mit dem alten Kahn geschafft. Das ist nicht wenig für ein Hobbyauto. Aber klar – die Reise an den Edersee und die beiden Roadtrips nach Österreich (Roadtrip 1, Roadtrip 2) ließen beim Kilometerzähler keine Langeweile aufkommen. Meine Eltern nahmen Hein mit auf unsere Ausfahrt „Watt’n Törn“ und ich nutze Hein inzwischen sogar auf einer Oldtimerrallye – aber davon erzähle ich euch noch. Während das aber eher alles aus Spaß an der Freude war, musste Hein zwischendurch auch wirklich richtig arbeiten. Und nun kommen wir zum springenden Punkt: Hein hat mich noch nicht einmal stehen lassen.

Das Telefonat mit dem Verkäufer verlief recht positiv. Ich war immer noch Feuer und Flamme – bis ich mich meinem Kumpel Jürgen unterhielt. Auch wenn der sympathische Schrauber aus dem Allgäu selbst andauernd verwahrloste Autos in seinem Tierheim Autoheim aufnimmt, riet er mir davon ab, Hein zu verkaufen. All die Baustellen, die der alte Kahn noch hat, wären (mit Ausnahme der Rostentfernung) recht leicht zu beheben und auch nicht teuer. Dann hätte ich einen guten, patinierten Wagen, mit dem ich lange Strecken gut fahren und auch überall abstellen könnte, ohne mir Sorgen um Kratzer oder Dellen zu machen. Erfahrungsgemäß weiß ich, dass ich das mit meinem Traumwagen tatsächlich nicht tun könnte. Außerdem würde der Preis, den ich für Hein bekäme (wenn ihn überhaupt jemand kauft) wahrscheinlich nicht einmal den Anschaffungspreis meines Traumwagens decken.

Liebe macht blind.

Was ich aber in meinem Liebesrausch total übersehen habe: Das inserierte Exemplar meines Traumwagens ist eine Großbaustelle. Auf dem ersten Blick zwar nicht so schlimm, wie Elsa es damals war, aber trotzdem stecken dort noch einige hundert Stunden Arbeit drin, wie der auseinander gepflückte Motor und die rostigen Radläufe verraten. Und auch recht viel Geld. Geld, mit dem ich Hein topfit und rostfrei bekäme und auch locker die To-Do-Listen der anderen Autos abarbeiten könnte. Heins Macken waren bisher ja auch eher „typisch Altauto“…

Ich bin mir immer noch unsicher, ob der alte Kahn nun bleiben oder weichen soll, denn das Traumwagen-Angebot besteht noch immer. Doch dann denke ich wieder an die Schrauberaktion mit Lukas und sehe den Hein Blöd auf der Rückbank sitzen, den mir Matthias einmal als Maskottchen schenkte. Eigentlich kann ich Hein nicht verkaufen. Aber manchmal muss man sich von Altlasten befreien und sich in neue Abenteuer stürzen.

Oder? Was meint ihr denn? Auf eure Meinungen bin ich mehr als gespannt.


PS.: Falls ihr nun „verkaufen!“ ruft, weil ihr ein neues Schrauberprojekt sehen wollt, dann kann ich euch beruhigen: Es kommt trotzdem bald etwas Neues. Ich verrate nur noch nicht, wann es kommt und was es ist. Lasst euch überraschen!

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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4 Antworten zu Time to say goodbye?

  1. Marc-Hendrik sagt:

    Tja Lars, schweeere Entscheidung…. Jeder, der diesen Autovirus hat, kennt Deine Situation. Ich selbst verfalle Woche zu Woche in Gedankenspielen und Fieberwahn, wenn ich in den beliebten Onlineportalen umehr surfe. Ein verlockendes Angebot hier, ein verlockendes Angebot da…. Fragen über Fragen.
    Ich zwinge mich dann dazu ersteinmal 2 Nächte darüber zu schlafen. Abstand zu gewinnen und noch mal neu zu denken. Meist legt sich die Begierde dann und die Vernunft gewinnt die Oberhand. Und mit der Zeit merkt man auch, dass viele, oft als einmalig eingeschätzte Angebote, doch auch noch mal wiederkommen. Es lohnt sich also, alles etwas gelassener zu sehen.
    Außerdem, was Du hast, weißt Du. Was Du bekommst, weißte nicht.
    Ich würde Hein behalten, aber die Versuchung ist ( zu ) groß!?
    Bin gespannt wie es weiter geht.
    Liebe Grüße

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey Marc-Hendrik!
      Vielen Dank für deinen Kommentar!

      Ich bin vielleicht erleichtert, dass es nicht nur mir so geht. In Sachen „einmaliger Angebote“ kann ich dir nur recht geben. Das Objekt meiner Begierde beobachte ich (also jetzt nicht dieses Exemplar, sondern das Modell allgemein) schon seit einiger Zeit – und da waren schon echt gute Autos für nicht viel mehr Geld im Angebot. Und genau deshalb zögere ich noch. Außerdem weiß ich wirklich nicht, ob ich mich von Hein trennen mag. Er fährt sich ja schon irgendwie recht gut und bietet viel Nutzwert. Keine leichte Entscheidung. Noch ist das Exemplar zu haben und noch bin ich standhaft.

      Wonach schaust du denn am liebsten? Hast du auch ein paar Traumwagen? Oder schaust du eher so und lässt dich überraschen?

      Schöne Grüße
      Lars

  2. Michael sagt:

    Moin

    Ich würde mir die andere Baustelle mal real anschauen, meist ist das noch schlimmer als erwartet, aber wichtig, Herz zuhause lassen, Verstand einpacken 😉

    Gruss aus Hessen

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey Michael,
      vielen Dank für deinen Kommentar!

      Ich glaube, du hast recht. Bisher habe ich mich auch noch nicht entschieden, geschweige denn das Auto angesehen. Hein kenne ich ja fast in- und auswendig und das neue Auto müsste ich erst kennenlernen… Ich weiß noch nicht. Schwierig, schwierig…

      Schöne Grüße
      Lars

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