Entdeckt: Volvo 480 – Keil mit Klappaugen
In einer Zeit, in der Volvos so kantig waren wie Kartons, kam er um die Ecke: Der Volvo 480.Heute möchte ich euch den wohl mutigsten Volvo aller Zeiten vorstellen.
Nun gebt es doch schon zu.
Wenn ihr Old- oder Youngtimer auch nur ein bisschen mögt, dann schaut ihr garantiert doch auch alten Autos hinterher, die euch im Straßenverkehr oder auf einem Parkplatz begegnen. Oder liege ich da nun so falsch? Genau. Mir geht es genauso. Schon oft habe ich am Straßenrand oder bei Gebrauchtwagenhändlern seltene oder ungewöhnliche Autos entdeckt, die eigentlich so gut wie komplett aus dem Straßenbild verschwunden sind oder eigentlich nur noch als Oldtimer verhätschelt und nicht als Alltagsauto verwendet werden. Und genau diesen Autos möchte ich mit dieser kleinen Blogreihe einen Platz im Internet schaffen. Wahrscheinlich werdet ihr hier deshalb auch keinen 124er Mercedes und keinen Golf II entdecken, wenn sie nicht gerade irgendetwas besonderes an sich haben. Autos ohne Lobby, vom Leben gezeichnete Klassiker oder saubere Survivor – denen möchte ich hier ein kleines Denkmal setzen. Es gibt eindeutig Wichtigeres im Leben, es bringt mir aber Spaß. Und euch hoffentlich auch.
Ausnahmsweise war ich einmal zu Fuß unterwegs. So treu mein Alltagsgolf auch ist – bei einem Parkplatz direkt vor meinem Ziel kann auch er keine Wunder bewirken. Doch ab und zu ist es auch mal ganz nett, durch die Stadt zu spazieren. Überall sieht man kleine Kunstwerke, die Menschen ganz unbewusst geschaffen haben – alles zeugt nur von ihrem Leben. Und so spazierte ich schon genauso durch eine Stadt, wie ich es beim letzten Beitrag dieser kleinen Blogreihe gemacht habe. Damals, also vor rund zwei Jahren, habe ich einen knallgelben Opel GT am Straßenrand entdeckt und mich darüber gefreut. Ein bisschen Hoffnung hatte ich ja, dass mir etwas Spannendes über den Weg… nein. Dass ich etwas Spannendem über dem Weg laufen würde. Denn auch, wenn die kleine Blogreihe hier die letzten zwei Jahre etwas still geworden ist, liegen die „Underdogs“ mir immer noch sehr am Herzen. Und mein Herz machte auch einen kleinen Sprung, als ich um eine Ecke bog und diesen grünen Exoten dort parken sah.
„Manche glauben, ein Volvo ist brav“
Der Spruch kommt nun ausnahmsweise nicht von mir. Das war tatsächlich die etwas selbstironische Werbung, die Volvo im Jahr 1990 für den Volvo 480 geschaltet hat. Denkt euch mal in das Jahr 1990 zurück: Volvo baute damals den 440, den 460, die 200er-Reihe, die 700er-Reihe und die 900er-Reihe. Alles eher solide, eckige Kisten, die – wenn man dem Klischee nach geht – besonders bei Erdkundelehrern und Antiquitätenhändlern beliebt waren. Doch weder Landkarten noch alte Uhren gingen durch meinen Kopf, als ich diesen 480 am Straßenrand parken sah. Ich hatte schon immer einen kleinen Softspot für den damals kleinsten Volvo im Programm. Und ich glaube, daran ist auch eben dieser Werbespot Schuld, den ich vor einigen Jahren schon einmal gesehen hatte. Schaut doch mal selbst:
Er sieht ja schon scharf aus, der Volvo, der eigentlich keiner ist. Zumindest sagen das viele Spötter, die nicht dem Charme der Klappaugen verfallen sind. Denn tatsächlich handelt es sich bei dem Volvo 480 um keinen schwedischen Volvo. Der kleine Flitzer ist tatsächlich eher das Ergebnis einer multikulturellen Zusammenarbeit – und die begann schon 1979. Schon damals suchte Volvo nach einem Nachfolger für die Volvos der 300er Serie. Die kleinen Limousinen mit Transaxle-Antrieb basierten noch auf einer DAF-Konstruktion, die eigentlich als DAF 77 auf den Markt kommen sollten. An einem Designentwurf arbeiten damals gleich mehrere Leute: Jan Willsgaard, der Chef-Designer von Volvo, entwarf ebenso einen kompakten Volvo wie auch Bertone oder Sergio Coggola. Aber auch das Konstruktionsteam der niederländischen Volvo-Devision (Volvo hatte dort in den 70er Jahren das DAF-Werk übernommen und baute dort die 300er-Serie) saß an einer Zeichnung für den neuen Kompaktwagen.
Ein Neuanfang
Für das Team um John de Vries, Robert Koch und Corien Pompe war der Designentwurf des Volvo 480 besonders wichtig: Anscheinend fürchteten sie, dass die niederländische Volvo-Division geschlossen worden wäre, wenn der Designentwurf nicht angenommen worden wäre. Doch auch wenn Jan Willsgaard das Design wohl nicht sonderlich gefallen haben soll, wurde der Entwurf von der niederländischen Version tatsächlich angenommen – und 1986 mit der Produktion im niederländischen Born begonnen. Tatsächlich lächeln deshalb einige Volvo-Fans über den kleinen Dreitürer und bezeichnen ihn spöttisch als „Käsekeil“, weil er eben in den Niederlanden gebaut wurde – genauso übrigens wie mein erstes Auto. Mein Volvo V40 ist tatsächlich der Nachfolger vom Volvo 480. Manche sagen, dass die Verarbeitungsqualität der in den Niederlanden gebauten Volvos nicht unbedingt so toll sein soll – und der 480 hat das leider an einigen Ecken und Kanten auch bestätigt.
Doch ich möchte nun nicht über Rost, Elektronikprobleme, anlaufende oder undichte Rückleuchten sprechen. Tatsächlich wurde die Qualität des Volvo 480 über die Jahre auch immer besser. Und – wie ich finde – reifte das Design auch immer mehr. Die frühen 480 trugen noch das Kürzel „ES“ – ein Wink an den P1800 ES, der auch „Schneewittchensarg“ genannt wurde. Von dem hatte der Volvo 480 nämlich mehr oder weniger sein Heck geerbt: Genauso wie das Vorbild hatte auch das Shooting Brake aus den 80ern eine Heckklappe aus Glas. Die Klappscheinwerfer waren übrigens – genauso wie die Sidemarker am Heck – für den amerikanischen Markt bestimmt. Weil die Scheinwerfer in den USA vorne eine bestimmte Höhe haben mussten, die keilförmige Front aber beibehalten werden sollte, wurden kurzerhand Klappscheinwerfer in die Front gebaut. Wer von euch allerdings denkt, dass der Wagen deshalb keinen charakterischen „Volvo-Querstrich“ im Kühlergrill hat, dem kann ich etwas anderes zeigen:
Schon zu Lebzeiten ein Underdog
Doch auch wenn der Volvo 480 über die Jahre meiner Meinung nach immer schicker wurde, blieb der große Verkaufserfolg leider aus. Vielleicht lag es an dem 1,7-Liter-Motor, den Volvo zusammen mit Renault entwickelte und der vielleicht nicht unbedingt mit Fahrleistungen, wohl aber mit Langlebigkeit überzeugte. Auch der 1988 nachgeschobene 480 Turbo konnte die Verkaufszahlen nicht so richtig in Schwung bringen, obwohl der von Porsche abgestimmte und entwickelte Motor dem kleinen Niederländer tatsächlich Beine machte. Auch mit schicken Sondermodellen wie einem 480 im „Two-Tone“-Look konnte Volvo die Käufer nicht so wirklich überzeugen. Doch trotzdem hatte und hat der 480 eine große Fangemeinde. Und auch ich wollte fast einen Zettel hinter den Scheibenwischers meines Straßenrandfundes machen. Er sah ein wenig vernachlässigt aus, der kleine 480, wobei der zweite Blick ein echt solides und sehr geliebtes Auto zeigte. Wahrscheinlich lag es einfach am Parkplatz unter Bäumen und an dem vielen Regen in den letzten Wochen, dass der kleine Volvo ein bisschen schmuddelig wirkte.
Es fiel mir nicht leicht, weiterzugehen. Gerne hätte ich mir die Details des Autos noch etwas genauer und vor allen Dingen länger angeschaut. Ich vermutete, dass es sich um einen Volvo 480 GT in „dark green metallic“ handeln musste. Das würde zu den lackierten Stoßdämfern, den Felgen und den hellen Blinkern passen, die verraten, dass ein späterer 480 vor mir stand. Irgendwann, so dachte ich, würde es auch komisch wirken, wenn ein strubbeliger Typ stundenlang mit seinem Handy strahlend um ein Auto springt, das nicht ihm gehört. Außerdem hatte ich ja zu tun – deshalb war ich ja auch überhaupt unterwegs. Es wäre jetzt gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich auf der Rücktour nicht noch einmal kurz nach dem ersten Volvo mit Frontantrieb geschaut hätte. Irgendwie würde mich ein 480 schon reizen – hätte ich nicht schon einen niederländischen Volvo, der kaum bewegt wird. Vielleicht schaue ich irgendwann nochmal nach ihm. Ich hab halt ein Herz für Underdogs.
Und mag Klappscheinwerfer.
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