Stau kompensieren.

„Lars, warum pendelst du eigentlich? Du stehst doch die ganze Zeit nur im Stau?“

comp_comp_SAM_0878Klar. Was nervt Autofahrer am meisten? Andere Autofahrer. Stau. Stillstand. Stress

Ihr seid vielleicht nun ein wenig verwirrt. „Haben die ganzen Abgase dem kleinen Kerl aus dem hohen Norden nun schon das Gehirn geschädigt?“, fragt ihr euch vielleicht. Kann ich verstehen. Wenn es um Stau geht und ich ein Bild von einem Deich reinstelle, ist das alles andere als logisch. Oder vielleicht doch?

comp_comp_SAM_9612Vor ein paar Tagen und Nächten habe ich mich gegen das Stadt- und für das Landleben entschieden. Vielleicht stehe ich Städten irgendwann anders gegenüber – aber momentan bereue ich meine Entscheidung nicht. Ich sitze zwar nun viel im Auto, aber das habe ich schon vorher getan. An einigen Tagen stehe ich um halb fünf auf, auch das nehme ich gerne hin. So lange ich morgens aus der Haustür gehe und gesunde Nordseeluft schnupper, ist mir das alles egal. Ich fahr ja nun sogar einen roten Golf Variant TDI, obwohl ich den V40 viel, viel lieber mag.

comp_comp_SAM_9492Nur manchmal ist der Wurm drin, bei der Pendelgeschichte. Gestern kam ich in eine allgemeine Verkehrskontrolle. Ich hätte nie gedacht, dass ein grauer Passat kontrolliert wird. Den fahre ich nämlich, so lange der Golf noch keinen neuen Zahnriemen und keine neuen Reifen hat. Es war aber alles in Ordnung. Schade um die zehn Minuten, aber was soll es. Auf der Rücktour stand ich dann (aus welchen Gründen auch immer) eine halbe Stunde kurz vor meiner Autobahnauffahrt herum. Passiert. Heute dagegen war es schlimmer. Nach Hamburg kam ich gut. Nur ware anscheinend einige Straßen in dem Stadtteil gesperrt, der immer mein Ziel ist. Aber natürlich nicht nur mein Ziel. Auch das Ziel vieler anderer Leute. Man kann sich schon denken, wohin das führte, oder?

Genau. Stau.

Bilder vom Stau habe ich keine gemacht. Konnte ich auch gar nicht. Mein altes comp_comp_SAM_6888Nokia hat noch nicht einmal eine Kamera und meine kleine Kamera lag zu Hause, deshalb hier ein altes Bild. Aber im Stau ist es eh besser die Gesichter der Fahrer der grau-silber-schwarzen Blechlawine zu sehen. 95% haben Angst im Stau den Kontakt mit der Außenwelt zu verlieren. Sie spielen an ihrem Handy. Schauen bei Whatsapp, ob Ihnen eine Nachricht geschickt wurden oder schauen die Bilder von anderen Leuten an, die sie in Wahrheit gar nicht mögen. Oder schauen nach einer anderen Routen, die ihnen auch gleich angezeigt wird. Klappt bloß nicht so gut, wenn man umgeben von anderen Autos weder vor noch zurück kann. Manchmal sind sie so abgelenkt, dass sie auch noch auf das davorstehende Auto klatschen. Dann ist noch mehr Stau.

comp_comp_SAM_9946Ganz, ganz viele Leute bohren auch in der Nase. Ob das ein Reflex ist? Keine Ahnung. Stressbewältigung? Viele Menschen werden extrem böse im Stau. Klar, wenn man in einem Auto sitzt, möchte man fahren und nicht stehen und wartend den Schein der Bremslichter des Vordermanns im Gesicht haben. So klappt ja nicht mal das Stau-Selfie, dass man dann mit einem Hashtag „#steheimstau #scheiße“ posten kann. Außer man ist eh blass. Dann sieht man vielleicht ja mal nach zu viel Südseestrandurlaub aus und die Leute denken, man kommt mal an die frische Luft.

comp_comp_SAM_0865Ich rege mich über Stau nicht mehr auf. Selbst, wenn ich mal genervt bin, dann denke ich einfach nur daran, wo die meisten Leute hinfahren müssen. In irgendeine Hamburger Vorstadt. In ihre kleine Wohnung oder ihr kleines Reihenhaus. Da wäre ich dann auch mies drauf. Seitdem habe ich auch mit aufblinkenden und (im Stau!) drängelnden Audifahrern Mitleid. Ich darf auf das Land. Mit frischer Luft, viel Feld rund um das Haus und der Nordsee vor der Tür. Dorthin, wo andere Leute Urlaub machen. Ich darf dort wohnen. Dafür stehe ich auch gerne mal im Stau. Außerdem ist es ja nicht langweilig. Ich höre Musik (mit manchmal nervigen Werbeunterbrechungen) oder denke darüber, wie ich diesen Blog bald „umbauen“ werde. Angeblich soll Langeweile ja die Kreativität fördern. Ob es stimmt? Puh.

comp_comp_SAM_0867Klar. Manchmal bin ich auch genervt. Wenn vom ständigen Anfahren das rechte Bein schmerzt. Wenn der Magen knurrt. Die nächste Toilette noch ewig weit weg ist. Man in zehn Minuten zwei Meter weit kam. Oder die Sehnsucht nach frischer Luft und freien Straßen zu groß ist. Aber dagegen gibt es ein Heilmittel. Frische Luft und freie Straßen. Und totes Tier in Wurstform mit Currysoße. Mit Pommes und Mayo. Am Eidersperrwerk.

comp_comp_SAM_0869Ein Glück bin ich nicht zu oft genervt. Ansonsten würde wohl sogar ich  auseinandergehen wie die neusten Generationen einiger Kleinwagen. Aber manchmal… manchmal muss es einfach sein. Nicht nur, dass es richtig lecker ist, nein. Die Luft ist toll. Die Nordsee ist direkt vor dem Deich, die Eider sprudelt an einem vorbei und die Möwen kreischen und segeln im Wind. Manchmal sieht man einen Krabbenkutter oder einen Ausflugsdampfer fahren. Die Touristen sind zu der Zeit, zu der ich hinkomme, eh schon alle am Nordicwalken oder in der Ferienwohnung.

comp_comp_SAM_0872Dann wird man wenigstens nicht beäugt. Außer von Möwen. Da einige Leute es mit dem „Bitte nicht füttern“ nicht so ernst nehmen und dann Mitleid mit den drolligen Vögeln bekommen, wird dort wohl schon Schichtbetrieb geschoben. Während die Kollegen draußen auf See sich bei den Krabbenkuttern aufhalten, waren zwei Möwen bei mir und haben gewartet. Vergeblich. Mir ist schon einmal eine Möwe gegen den Kopf geflogen. Das brauche ich nicht noch einmal.

comp_comp_SAM_0873aAber einen Spaziergang am Deich. Der hilft mir. Ist eh besser, wenn man sich nach vielen Stunden des Sitzens auch mal bewegt. Ein Spaziergang am Deich hört sich nun eher nach Rentner- oder Touristensport an. Ich finde es aber prima, um die Batterien mal wieder aufzuladen. An einigen Ecken findet man im Sommer auch mal nichts außer Schafe. Es gibt noch die „unbekannten“ Ecken, die man nur entdeckt, wenn man mal den Deich entlang fährt. Und nicht nur zu ausgeschilderten Orten. Oft sollen ja Landkarten (oder Google Earth) bei so etwas helfen.

comp_comp_SAM_0877Wenn ich dann am Deich entlang laufe, die frische Nordseeluft rieche und nicht mehr höre als das Rauschen des Windes, das Meckern eines Schafes oder auch mal das Kreischen einer Möwe – dann ist mir der ganze Stau egal. Dann können noch so viele gestresste Leute hupen, Schleicher die Autobahn blockieren, Leute mir die Vorfahrt nehmen und der Wecker noch so früh klingeln. Das ist dann alles richtig schnell von mir vergessen. Sogar wenn es regnet.

Weil dann bin ich da, wo es mir gefällt. In meiner Heimat. An der Nordseeküste.

Und das ist gut so.

PS.: Dies war mein 200. Blogbeitrag. Vielen Dank an alle regelmäßigen und unregelmäßigen Mitleser oder Leute, die der Blog eigentlich gar nicht interessiert, aber trotzdem ab und zu mal draufklicken. Darüber freue ich mich sehr!

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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4 Antworten zu Stau kompensieren.

  1. Happy 200.sten!

    Stau kann nerven keine Frage, aber selbst wenn man sich ärgert drüber änderts absolut null. Ich versuche den Staus so gut wie möglich auszuweichen, aber immer gehts halt nicht. Ich lenk mich mit Musik und Podcasts ab und mach das beste daraus.

    Liebe Grüße an die Nordsee vom Ufer des Mühlgangs. 😉
    Micky

    • Vielen Dank, Micky! 🙂
      Ich habe mir ja auch meine Stau-Umfahr-Routen herausgesucht. Ansonsten versuche ich mich nicht aufzuregen oder in Stress zu geraten. Dann freue ich mich um so mehr auf den Spaziergang an der Nordsee, wenn ich zu Hause bin.

      Schöne Grüße an das Ufer vom Mühlgang
      Lars

  2. Gratulation zum 200. !
    Ja ich bin froh das ich nach vielen Jahren des weiten Pendelns und Außeneinsatz jetzt nur noch viel weniger fahre und zum Hobby. Irgendwann ist es schade um die Zeit. Die man lieber mit den Kindern verbringt. Daher habe ich auch schon Job und Wohnort gewechselt.

    • Vielen Dank, Christoph! 🙂
      Es kann mir auch gut passieren, dass ich die Zeit zu schade finde. Aber momentan bin ich noch zufrieden. Es kann sich aber ja noch gut ändern. Kinder habe ich ja keine, um die ich mich kümmern muss. Ein paar alte Blechkisten mit Reifen schon eher ;-).

      Wie lange und wie viel bist du denn gependelt?

      Schöne Grüße
      Lars

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