Willkommen, Krümel!

Es musste ja irgendwann so kommen. Nach fünf Jahren habe ich wieder ein Auto gekauft. Und das war eher Zufall. Heute möchte ich euch meinen Neuerwerb Krümel vorstellen.

Dicke Nebelschwaden wabern über das Wasser und reflektieren grell das helle, kalte Licht der Arbeitsscheinwerfer. Es herrscht fast eine Totenstille, es weht kaum ein Wind. Nur ein leichtes Plätschern des Wassers gegen den Anleger dringt zu meinem Ohr, als ich die Autotür öffne und aussteige. Satt fällt die Tür neben mir ins Schloss. Das Geräusch zerstört die Ruhe fast wie der Schuss einer Pistole. Ich schaue mich um. Vor mir ist das beißende Licht der Arbeitsscheinwerfer, neben mir ein Auto, das die beste Jahre hinter sich hat und hinter mir… hinter mir ist nichts. Wie eine schwarze Wand baut sich die Dunkelheit hinter den roten Schatten der Rücklichter auf und verschlingt alles, was wir eben noch gesehen haben. Wir scheinen hier alleine zu sein. Meine Freundin, das Auto und ich. Ich schaue auf die Uhr meines Handys, dessen Bildschirm fast ein Spotlight auf mich wirft. Es ist kurz nach Mitternacht. Die Luft ist feucht und stickig. Ich laufe zwei Schritte in Richtung Wasser. Das andere Ufer ist im Nebel kaum zu sehen. Umdrehen ist aber keine Option mehr, das Benzin ist fast leer. Plötzlich wird es hell. Wie zwei Messer sticht ein bläuliches Licht in meine Augen. Ich drehe mich weg, doch sehe trotzdem, dass das Licht scheinbar näher kommt. Erst jetzt höre ich das dumpfe, aber immer lauter werdende, wütende Grollen eines Diesels. Langsamen Schrittes gehe ich zurück zu der alten Limousine. Ich steige ein und starte den Motor.

Geplant war es nicht.

Also, dass ich mir noch ein Auto kaufe. Wirklich nicht. Ich habe mir immer gesagt, dass ich kein Auto kaufe, bis Hein nicht fertig ist. Außerdem wäre da ja noch der Motor von Henkelmännchen, der ein bisschen Arbeit braucht – irgendwann. Ich wollte nicht so enden wie doch recht viele in unserem Hobby, die sich ein Auto nach dem anderen kaufen, es wegstellen und dann nie wieder etwas damit machen. Das finde ich schade, denn wenn etwas nur herumsteht und nur bewegt wird, dann bräuchte man das Auto auch gar nicht zwingend. Und zwingend brauchte ich auch kein sechstes Auto. Aber wie heißt es so schön? Einen Oldtimer kauft man nicht, er sucht sich sein Zuhause aus. Und ein bisschen war es dann wohl auch so bei meinem Neuerwerb. Auch er hat mich gefunden und ich nicht ihn aktiv gesucht. Aber ich fange mit der Geschichte mal ganz von vorne an.

Und dazu muss ich die Uhren mal ein paar Monate zurückstellen. Vor ein Monaten wurde ich gefragt, ob ich meine Meinung zu diesem Auto abgeben könnte. Das Auto wäre eigentlich seit dem ersten Tag in der Familie und sollte nun aber, weil es nicht mehr so einfach über die HU kommen würde, abgegeben werden. Das Familienmitglied des Vorbesitzers ist auch Oldtimerfahrerin, war auf der Suche nach einem Winterauto und fragte mich, ob das Auto dafür geeignet wäre. Besonders, weil die Geschichte des Autos recht besonders war. Und so kam es, dass einen schönen Sommertages der Wagen bei mir auf den Hof rollte. Ich wusste schon, dass die Werkstatt, die sich ansonsten um den Wagen kümmert, grob über den Daumen gepeilt fast 5000 Euro ansetzte, um ihn nur fit für die Hauptuntersuchung zu machen. Mir kam das ein wenig viel vor, doch da ich das Modell kenne, wusste ich auch, wo ich schauen musste. Aber schon nach kurzer Zeit wusste ich, dass die Werkstatt keinen Mist erzählt hatte. Das Auto war fix und fertig. Wollt ihr eine Liste sehen? Nicht erschrecken:

  • Reifen rundherum abgefahren
  • Bremsscheiben und Bremsbeläge rundherum verschlissen
  • Bremszangen vr, hl und hr defekt
  • Bremschläuche rundherum porös
  • Bremsleitung über Hinterachse stark verrostet
  • Differential undicht
  • Motor stark verölt
  • Motoraufhängungen kaputt
  • Hinterachsaufnahmen müssen bearbeitet werden
  • Radlauf (innen und außen) hl + hr durchgerostet
  • Seitenteil hl durchgerostet
  • Heckstoßstange durch Unfall beschädigt
  • Radhaus hl alte Reparatur wieder durchgerostet
  • alle vier Wagenheberaufnahmen durchgerostet
  • Schwellerende hr durchgerostet
  • Schwellerende hl durchgerostet
  • Batteriekasten durchgerostet
  • Stoßdämpferdom vl durchgerostet
  • Federteller vl stark rostig
  • Innenkotflügel unter Waschwasserbehälter durchgerostet
  • Unterboden durchgerostet
  • Türen rechts schließen nach Unfallschaden nicht mehr richtig
  • Schaltung schwergängig
  • Querlenkeraufnahme vorne bereits geschweißt, muss wieder Arbeit haben
  • Auspuff undicht
  • elektrische Fensterheber hinten ohne Funktion
  • letzter Ölservice 2016
  • Luftfilter von 2002
  • und noch vieles mehr…

Es war Mitleid.

Das gebe ich auch offen und ehrlich zu. Es war Mitleid, dass ich den Wagen gekauft habe. Nach der Liste wären wohl die meisten von euch schreiend weggerannt, anstatt auch noch Geld zu bieten. Irgendwie tat er mir aber echt leid, dass er nach 32 Jahren treuen Diensten so am Ende ist, dass der nächste Weg wohl nur noch der Weg zur Presse gewesen wäre. Davor wollte ich ihn bewahren. In den 32 Jahren war der Wagen übrigens nicht einen Tag abgemeldet. Auch trug er immer noch das erste Kennzeichen – also ein DIN-Kennzeichen. Ich finde DIN-Kennzeichen echt cool, doch leider war das nicht mehr zu retten. Weder durch die Oldtimerfahrerin, noch durch mich. Es würde zu teuer werden, zu lange dauern (siehe oben) – und ein Ummelden auf meinen Namen war auch nicht mehr möglich, weil die HU schon abgelaufen war. Wirklich schade. Ich machte dem Besitzer ein Angebot (auch aus einem Grund, der euch gleich klar wird) und er ging darauf ein. Mehr oder weniger in einer Kurzschlusshandlung hatte ich noch ein Auto gekauft. Jetzt wollt ihr bestimmt wissen, was es geworden ist – auch wenn die Profis unter euch es wohl schon wissen. Dieses hier:

Also den rechten da, nicht den linken. Das ist Hein. Und das rechte da – das ist Krümel, mein zweiter W124. Ich weiß jetzt schon, dass einige von euch kotzen werden, weil ihre Gesundheit und Laune irgendwie an meinen Fuhrpark gekoppelt ist. Zumindest kommt es mir immer so vor, wenn ich einige Kommentare über Hein lese. Aber mir ist das recht egal, denn schließlich ist es ja mein Geld, um das es hier geht und ihr könnt ganz umsonst Geschichten lesen oder Videos gucken. Okay – ich hatte auch nicht geplant, noch einen 124er zu kaufen. Eigentlich war ich mit den Autos durch. Aber ich hatte ganz gute Gründe, warum ich den Wagen gekauft habe. Drei Gründe sogar. Der erste Grund ist simpel: Ich habe mich mit dem Vorbesitzer auf den günstigen Kaufpreis von 400 Euro geeinigt. Das ist schon recht günstig für einen fahrbereiten W124 – aber wenn ihr die Mängelliste gesehen habt, die ich euch oben aufgeführt habe, wisst ihr, dass der Preis fair war. Für beide Seiten.

Gestatten? Krümel.

Der zweite Grund ist einfach: Krümel ist zwar nur ein 200E mit Viergang-Handschaltung aus dem Jahr 1991 (im Gegensatz zu Hein, einem 230E mit Viergang-Handschaltung), bekam aber ab Werk damals eine recht gute Ausstattung verpasst. So bekam er Goodies wie eine Sitzheizung (funktioneren noch!), vier elektrische Fensterheber (funktionieren noch vorne…), ein Schiebedach (funktioniert!), eine elektrische Antenne (funktioniert!), ein Außenthermometer (funktioniert!), ein mit Leder bezogenes Sportlenkrad – und er hatte ab Werk auch mal ein Sportfahrwerk. Das Sportfahrwerk ist inzwischen nicht mehr drin, aber das Lenkrad war es noch. Und weil nicht nur meine liebste Oldtimerfahrerin, sondern auch mein Vater lange Beine haben, wollte ich so ein Lenkrad schon lange für Hein haben, schließlich werde nicht nur ich Hein fahren. Und Krümel kam praktisch inklusive des Lenkrads. Und ein paar anderen Goodies.

Neben dem Lenkrad sah ich zwei Kotflügel, die vor noch nicht allzu langer Zeit ersetzt und in der gleichen Farbe wie Hein lackiert wurden. Und eine KE-Jetronic, die noch einigermaßen funktioniert. Und ein rissfreies Armaturenbrett. In erster Linie habe ich Krümel also als Teileträger gekauft, auch wenn ich ganz kurz dran gedacht habe, ob man den Wagen nicht doch noch irgendwie retten könnte. Aber spätestens bei der Abholung kam mir dann wieder in den Kopf, dass das echt nicht so schlau wäre. Nicht nur des Geldes wegen – Krümel ist einfach müde. Sogar sehr müde. Aber der Abholung widme ich nun einen eigenen, kleinen Absatz.

Zur Rente auf’s Land

Gut zwei Stunden dauerte die Zugfahrt nach Hamburg, danach ging es noch mit der S-Bahn weiter. Ich bin echt ewig keinen Zug mehr gefahren. Und es wäre so ganz ohne eine einzige Musikdatei auf dem Handy (oder Kopfhörer) wohl auch langweilig geworden, wenn meine liebste Oldtimerfahrerin mich nicht begleitet hätte. Doch die Langeweile hätte sich spätestens nach dem Unterschreiben des Kaufvertrags sowieso in Luft aufgelöst. Denn die Schaltung forderte all meine Muskeln, die ich im rechten Arm habe – und sorgte für einige Schweißperlen auf der Stirn. Ich habe noch nie einen Ganghebel erlebt, der sich anfühlt, als würde er in meinem Eimer mit hartem Beton stecken. Bis ich Krümel gekauft habe. Mit zwei Händen konnte ich den Rückwärtsgang reinkriegen – Gang 1 und 2 waren auch mehr Glückstreffer als knackiges Schalten.

Gestärkt mit einer Currywurst Pommes von der Oldtimer-Tankstelle im Magen (und hoffentlich etwas mehr Kraft im Arm) ging es dann für Krümel noch einmal auf eine letzte Tour durch Hamburg. Wir wollten ihm noch einmal die Hansestadt zeigen, bevor er hier auf dem Land in Rente gehen kann. Krümel hat nämlich sein ganzes Leben in Hamburg verbracht. Tatsächlich ist die Geschichte auch der dritte Grund, warum ich den Wagen gekauft habe. Im ersten Leben, von 1991 bis 1995 war der Wagen auf den Axel-Springer-Verlag zugelassen. Dieser 200E war tatsächlich ein Journalistenauto – davon zeugt auch noch das Kennzeichen. Das „ZV“ auf dem Kennzeichen steht nämlich nicht für „Zentralverriegelung“, sondern für „ZeitungsVerlag“. Nach den Anschlägen der RAF – so wurde es mir erzählt – wechselte der Axel-Springer-Verlag alle Kennzeichen von „AS“ auf „ZV“, um nicht mehr so leicht erkannt zu werden. Eigentlich ein Stück Geschichte, was ich da gekauft habe.

Und tatsächlich hört die Geschichte da nicht auf. 1995 übernahm der Angestellte des Verlags, der Krümel als Dienstwagen hatte, den Wagen für sich privat. Ein Jahr später gab er ihn an seine Frau weiter, 2016 ging der Wagen an deren Sohn. Und nun an mich. Ich weiß, dass der Wagen die letzten Jahre nicht mehr die Pflege bekommen hat, die der Wagen gebraucht hätte. Aber trotzdem hing die Familie an dem Wagen. Ihn also einfach auszuschlachten und zu pressen – das werde ich wohl nicht übers Herz bringen. Auch wenn ich auf der Fahrt nach Hause da schon fast Lust drauf bekommen hätte.

Ebbe!

Denn kaum hatte ich nachts Krümel auf die Autobahn in Richtung Norden gesteuert, ging die Warnlampe an, dass sich zu wenig Kühlmittel im Ausgleichsbehälter befinden würde. Tolle Wurst. Ein Blick in den Kühlmittelbehälter bestätigte den Eindruck. Viel Wasser hatte ich nicht dabei – und irgendwie war das auch gar nicht nötig. Denn als ich den Behälter vorsichtig aufmachte, um eventuellen Druck aus dem Kühlsystem zu bekommen, war der Behälter wieder voll. Trotzdem kippte ich ein wenig Wasser nach, fuhr wieder auf die Autobahn – und das Spiel ging von vorne los. Weil auch der Auspuff gefährlich klapperte, fuhren wir also Landstraße. Und das zog sich. Statt eineinhalb Stunden wurden es fast drei. Inklusive einer Fährfahrt um Mitternacht, mitten im Nebel. Es war ein bisschen wie ein Horrorfilm, aber das habt ihr ja schon gelesen.

Doch die restliche Fahrt verlief dann doch ganz gut. „Krümel“ ist heil bei mir angekommen, ließ die Wasserlampe aus – und gehört nun mit zum Fuhrpark. Meinen Plan, ihn als Teileträger für einige Goodies zu nehmen, steht noch immer. Aber den Rest werde ich nicht pressen lassen. Der Rest wird… ähm, ja. Tatsächlich erst einmal weggestellt. Zum einen kann ich die Teile jetzt noch nicht gebrauchen und es ist einfacher, ein ganzes Auto wegzustellen als einzelne Teile, zum anderen möchte ich ihn einfach nicht pressen lassen. Das habe ich ja schon einmal gesagt. Dazu ist mir irgendwie die Geschichte zu interessant. Apropos Geschichte. Vielleicht wollt ihr die Abholung und die Vorstellung von Krümel ja auch nochmal per Video sehen. Dazu habt ihr hier die Chance:

Einige meiner Freunde haben schon geunkt, dass ich den Wagen doch retten werde, besonders nachdem ich ihm wieder einen Stern verpasst und ihn poliert habe. Aber nein – das werde ich wohl nicht tun. Denke ich. Aber hätte ich mein Museum, von dem ich so lange schon träume, würde ich ihn so wie er ist reinstellen. Erst einmal wird er aber bei einem Bauern Unterschlupf finden. Vorher werde ich ihn noch ein wenig versiegeln, ihm neues Öl und einen Bremsflüssigkeit verpassen, damit er nicht noch mehr altert. Hört sich doof an? Vielleicht. Aber irgendwie möchte ich dem Auto ein bisschen Dankbarkeit und Ehre bieten. Also werdet ihr wieder von ihm hören. Ob ihr wollt – oder nicht.

Übrigens: Als wir mit Krümel an der Oldtimer-Tankstelle waren, war dort wohl gerade ein Mercedes-Stammtisch. Auch ein ganz großer Bruder von Krümel, ein 500E, stand dort. Als wir Krümel daneben stellten und ein Foto machten, lachte scheinbar der ganze Stammtisch. Ich denke, dass es tatsächlich ein Lachen war, das Krümel galt. Unsympathisch. Irgendwie tat er mir da leid. 32 Jahre gearbeitet – nur um dann ausgelacht zu werden. Sowas kann ich nicht pressen lassen. Vielleicht findet er ja auch irgendwann ein Zuhause, das es gut mit ihm meint und ihn rettet. Wer weiß das schon? Lassen wir uns überraschen. Mich würde sehr eure Meinung interessieren. Sollte man ihn schlachten? Oder vielleicht noch doch retten? Wie dem auch sei:

Willkommen im Fuhrpark, Krümel!

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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