Krümel will nicht schlafen

Heute möchte ich euch von einem Mercedes erzählen, der einfach nicht schlafen wollte. Und weil er nicht schlafen wollte, dachte er sich ein paar Streiche aus. Viele Streiche…

Es war einmal…

… ein alter Mercedes 200E. Und dieser Mercedes 200E hörte auf den Namen Krümel. Krümel war schon sehr alt und hatte sein ganzes Leben lang hart gearbeitet. Viele, viele Kilometer hatte er seine Besitzer durch die Hansestadt Hamburg bewegt und war dabei fast immer treu. So treu wie Dackel Winfried der Nachbarn, den er immer beobachtete, wenn er am Straßenrand mit seinem Frauchen oder seinem Herrchen durch die Gegend lief. Er wollte auch immer treu sein, denn er mochte seine Besitzer und all die Leute, die mit ihm durch die Stadt fuhren. Doch irgendwann merkten seine Besitzer, dass er nicht mehr so konnte, wie sie es gerne hätten. Zwei Mal hatte er das Leben seiner Insassen bei Unfällen geschützt, aber es war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Seine Türen auf der Beifahrerseite waren ganz schief und krumm – und die Stoßstange hinten zeigte viel mehr von seinem Auspuff, als es ihm lieb war. Außerdem knusperte es an seinen Radläufen. Und sein Federteller vorne rechts tat ihm auch schon lange weh.

Er hatte schon von anderen Autos aus der Straße mitbekommen, dass sie im Alter nicht mehr in Hamburg fahren würden, sondern mit einem großen Schiff auf eine große Kreuzfahrt gingen und in warmen Ländern noch viele Jahre umherfahren durften, auch wenn sie ein paar Gebrechen hattne. Und darauf freute sich Krümel schon. Nicht nur auf die Kreuzfahrt, sondern auch auf das warme Wetter und die Leute, die er dann fahren würde. Die Rente im Süden – ja, das war es! Natürlich würde er die Familie hier vermissen und vielleicht auch ein wenig Hamburg, aber eine Kreuzfahrt? Davon hatte er schon lange geträumt. Doch es kam alles anders. Ein junges Paar kam irgendwann an, gab seinem Besitzer einen Umschlag in die Hand, bekam im Gegenzug den Zündschlüssel und nahm ihn dann einfach mit. Es war doch eher ein kühler Abschied von der Familie, der er 32 Jahre lang treu zu Seite stand. Zumindest fuhr das junge Paar mit ihm noch einmal durch Hamburg. Nicht nur entlang der Alster, sondern auch eine Runde durch den Hafen und über die Elbchaussee.

Die Rente an der Nordsee

Die Hoffnung auf die Kreuzfahrt hatte Krümel noch nicht ganz aufgegeben, auch nachdem er sich schon ein paar Wochen an der Nordsee fast ein bisschen eingelebt hatte. Er hatte ja mitbekommen, was der Plan seines neuen Besitzers war. Ein Bruder von ihm stand auch hier herum. Er bekam wohl eine Art Kur. Auch er hatte knusprige Radläufe und altersschwache Achsen, war aber in alle Einzelteile zerlegt und sehr staubig. Hein schien er zu heißen – Krümel hatte ihn bisher nicht so gut verstehen können. Sein Stoßfänger vorne fehlte ihm irgendwie und er nuschelte deshalb sehr stark. Auf jeden Fall hatte dieser Bruder schon sein Lenkrad und auch einen ABS-Sensor von ihm bekommen, während er das abgegrabbelte Lenkrad und einen kaputten ABS-Sensor wieder eingebaut bekam. Krümel hatte kurz Panik, als Ersatzteilträger auseinandergebaut zu werden – doch als er etwas von „Dornröschenschlaf“ hörte, wusste er: Auf den Schrott kommt er nicht. Sein neuer Besitzer wollte ihn erst einmal schlafen schicken. Aber auf schlafen hatte Krümel gar keine Lust.

Und auch nicht auf die Nordsee. Er spürte praktisch die warme Sonne auf seinem Lack, wenn er nur an die Kreuzfahrt dachte, aber die Realität sah anders aus: An der Nordsee regnete und stürmte es und es war gar nicht mal anders als das Hamburger Schietwetter. Er wollte hier nicht bleiben. Und schon gar nicht schlafen. „Wer rastet, der rostet“, dachte er sich. Doch scheinbar schien das auch sein neuer Besitzer zu denken. „Ich werde noch ein paar Handgriffe machen, bevor er in den Dornröschenschlaf geht“, hörte Krümel ihn einmal sagen. „Ölwechsel, Unterboden- und Hohlraumkonservierung – und neues Kühlmittel muss auch sein“. Sofort hatte Krümel sich einen teuflischen Plan ausgeheckt. Würde er sich bei all den Aufgaben, die sein neuer Besitzer geplant hatte, einfach so richtig querstellen, dann würde der strubbelige Kerl vielleicht die Lust verlieren und ihn doch noch auf Kreuzfahrt schicken! Ein bisschen musste er ja kichern, als ihn sein neuer Besitzer auf die Hebebühne fuhr. Der Plan war niet- und nagelfest!

Sso ganz klappte der Plan doch nicht gleich. Sein neuer Besitzer nahm ihm nicht nur die Seitenschweller, sondern auch beide Kotflügel und die Radhausschalen ab. So richtig konnte sich Krümel gar nicht wehren, einige Schrauben wollte er extra festhalten, aber sein Blech war an manchen Stellen einfach nicht mehr stark genug. „Man, du bist ja ein richtiger Komposthaufen!“, meinte sein neuer Besitzer zu ihm, als er die Erde wegschippte. Was für eine Beleidigung! Das konnte Krümel nicht auf sich sitzen lassen. Als sein Besitzer kurz nicht hinschaute, schüttelte sich Krümel richtig kräftig, um noch ein paar trockene Blätter Laub in die Ritzen und Falze zu bekommen, die kein Staubsauger mehr erreichen würde. Im Süden würde es sowieso nie regnen – und nun seinen neuen Besitzer bestimmt zur Weißglut treiben. Nur, dass dieser kauzige Typ sich tatsächlich stundenlang hinstellte und alles an Blättern und Kompost herausholte, was nur ging… damit hatte Krümel nicht gerechnet.

Wie geschmiert!

Fast hatte Krümel ja ein bisschen schlechtes Gewissen. Die Unterboden- und Hohlraumkonservierung hatte er ja schon ein bisschen genossen. Der Rost juckte ihn ja doch an einigen Stellen – da wirkte die Konservierung fast wie eine kühlende Salbe. Aber die Salbe würde ihm ja auch noch in der Wärme helfen. Bestimmt hätte sie auch eine Sonnenschutzwirkung, damit er sich auf der Kreuzfahrt den Lack nicht verbrennen würde, dachte sich Krümel. Der Plan musste durchgezogen werden! Als nächstes stand wohl ein Ölwechsel auf dem Zettel. Sein neuer Besitzer ließ den Motor so richtig warmlaufen, um all das alte Zeug aus dem Block zu kriegen. Um ehrlich zu sein, hatte sich Krümel schon lange auf einen Ölwechsel gefreut. Die alte Brühe war nun schon 7 Jahre im Motor – und so langsam freuten sich seine Lager und Gelenke auf etwas neuen Schmierstoff. „Ich wechsle das alte Motoröl, weil schon relativ viel Sprit und Dreck darin enthalten sind“, erklärte sein neuer Besitzer es seiner Freundin. „Und das würde unter anderem die Lagerschalen angreifen. Einen neuen Ölfilter wird Krümel auch gleich bekommen!“

Das war das Stichwort! Krümel wusste sofort, wie er seinen neuen Besitzer so richtig nerven konnte. Die Ölablassschraube würde er noch ohne großen Ärger hergeben. Und das Öl würde (so schön erwärmt) auch ganz seidig abfließen. Aber der Ölfilter, ja! Im Ölfilter würde er all den Schnodder sammeln, der sich in den letzten Jahren in seinem Motor so gebildet hatte. Er musste sich ein bisschen auf den Stoßfänger beißen, als sein neuer Besitzer den Ölfilterschlüssel ansetzte und ihn losdrehte. Er hatte ihn zwar vorher angestochen, um das alte Öl schon einmal ablaufen zu lassen – aber dem Schmodder würde das nicht helfen! Und tatsächlich konnte Krümel seinem Besitzer einen genervten Blick entlocken, als dieser den Ölfilter anhob und eine puddingartige Masse aus dem Ölfilter direkt in den Motorraum klatschte, sich dort und anschließend auch auf dem Werkstattboden verteilte. Der Plan war genial!

Oder vielleicht auch nicht.

Krümel ärgerte sich. Sein neuer Besitzer nahm tatsächlich Papiertücher und Bremsenreiniger zur Hand und putzte nicht nur den Werkstattboden, sondern wienerte sogar liebgewonnene Ölflecken aus seinem Motorraum. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber er merkte schon, dass sich sein Plan langsam durchsetzte. Der Blick des Strubbelkopfs wurde doch etwas genervter, als er aus jeder Ecke den Ölpudding wischte. Es würde nun bestimmt nicht mehr viel Aufwand brauchen – und er wäre auf dem Kreuzfahrtschiff in Richtung Süden und würde sich die Sonne auf den Lack scheinen lassen und die Seeluft genießen. Ein „Hoffentlich geht nun beim Kühlmittel alles glatt“, riss ihn aus dem Traum. Da war es! Sein Besitzer wollte das Kühlmittel wechseln. Das war schon recht rostig geworden und sein Ölaufputzer wollte ihn so nicht in den Dornröschenschlaf schicken. Krümel fiel sofort ein gemeiner Plan ein.

Dass sein neuer Besitzer das Kühlsystem noch einmal durchspülen musste, weil irgendeiner mal rotes und blaues Kühlmittel zusammengekippt hatte und für ziemlich viel Chaos im Kühlkreislauf gesorgt hatte, hatte Krümel dabei gar nicht auf dem Zettel. Aber es freute ihn trotzdem, dass sein Besitzer (mit noch genervterem Blick) die ganze olle Brühe rausspülte. Der Strubbelkopf hatte dabei nämlich einen Fehler gemacht: Er hatte das alte Thermostatgehäuse aus Plastik gelöst. Zumindest war es aber kein Fehler aus Krümels Sicht. Krümel musste aufpassen, sich beim Unterdrücken des Kicherns nicht am Kühlwasser zu verschlucken. So schnell würde sein neuer Besitzer das Thermostatgehäuse nicht dicht bekommen…

Krümel freute sich insgeheim, wie sehr sich sein Besitzer aufregte. Erst zog er noch einmal alle Schrauben nach, dann kaufte er eine neue Dichtung – die aber auch nicht half. Es wurde fast eineinhalb Wochen still. Krümel stand weiterhin auf der Hebebühne und genoss es, die Räder mal baumeln zu lassen. Vielleicht gab es im Süden ja auch Hängematten für Autos? Er hatte sowas mal in einem Garten gesehen, als er in einem Vorort von Hamburg parkte. Das sah schon wirklich verdammt gemütlich aus. Aber seine Träume wurden irgendwann doch unterbrochen, als sein neuer Besitzer mit einem nagelneuen Thermostatgehäuse aus Metall ankam. Krümel konnte sich nun nicht mehr wehren. Das Gehäuse hielt dicht – und er behielt das Kühlmittel bei sich.

Don’t stop me now!

Ein Ass hatte Krümel nun noch im Ärmel. Er wusste, dass sein neuer Besitzer auch noch die Bremsflüssigkeit wechseln wollte. Bei den Entlüftungsnippeln wollte Krümel noch keine Schwierigkeiten machen. Und die Bremsleitungen? Die waren fast alle neu. Egal, wie sehr er sich angestrengt hätte – die hätte er nicht zum Platzen bekommen. Erst als sein neuer Besitzer das Entlüftungsgerät in die Garage stellte, reifte bei Krümel die Idee: Wenn er es irgendwie schaffen könnte, das Entlüftungsgerät auf seine Seite zu bekommen, dann wäre ihm nun die Kreuzfahrt ins Warme garantiert sicher! Kaum hatte sich der Strubbelkopf aus der Garage entfernt, fing Krümel an, seinen Plan umzusetzen. „Ey, du da. Du blaues Gerät. Du bist doch da, um Bremsen zu entlüften, oder?“, fragte Krümel leise. „Ja, klar!“, rief das Entlüftungsgerät laut. „Psst! Der Typ soll uns nicht hören“, erwiderte Krümel. „Ich habe einen Plan, den ich gerne umsetzen würde. Sag mal… willst du mit in den Süden? Da, wo es warm ist? Du stehst doch auch immer nur im Schrank herum. Oder in einem Regal…“

Das Entlüftungsgerät hatte sich schon schon lange nach Sonnenschein gesehnt, das hatte Krümel wohl gemerkt. „Aber… wie willst du das machen?“, fragte das Entlüftungsgerät vorsichtig. „Na, ganz einfach. Der Typ hier ist schon genervt. Wenn du nun noch kaputt gehst beim Entlüften und ich nicht mehr bremsen kann, dann werde ich in den Süden geschickt. Und nehme dich mit!“ Das Entlüftungsgerät war gleich überzeugt. Und ging sofort kaputt, nachdem der strubbelige Schrauber es angeschlossen hatte. Und Krümel? Krümel hatte keinen Bremsdruck mehr. Der Plan war aufgegangen. Der Typ war endgültig genervt und lief laut meckernd aus der Garage.

Ein paar Tage später…

…wurde Krümel wieder jäh aus seinen Träumen gerissen. Nun war er sich sicher! Es würde bald in den Süden gehen. Bis… ja… bis er einen neuen Anschluss für das Entlüftungsgerät sah. Der Plan war gescheitert. Ohne Probleme ließen sich nun die Bremsen entlüften – und tatsächlich war er insgeheim auch ein bisschen froh, die alte Marmelade aus den Leitungen los zu sein. Doch damit hörte es nicht auf. Sein neuer Besitzer hatte (für 30€, wie er stolz vor sich hinmurmelte) vier Achtloch-Felgen gekauft. So, wie Krümel sie eigentlich ab Werk draufgehabt hatte. Krümel freute sich, obwohl er es eigentlich gar nicht wollte. Und er freute sich auch darüber, dass der strubbelige Schrauber mit einem Staubsauger ankam und ihn von innen richtig gründlich saubermachte. Sogar die Sitze shampoonierte er und machte die Lüftungsdüsen mit einem Pinsel sauber. Das hatte Krümel so noch nicht erlebt.

Was Krümel auch noch nicht erlebt hatte, merkte er wiederum ein paar Tage später. Ganz samtig und weich fühlte es sich an, als er den Stoff auf seinem Lack spürte. Sein neuer Besitzer  hatte ihm tatsächlich einen Pyjama geschenkt. Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht hier, dachte sich Krümel. So einen Luxus hätte er als Laternenparker nie bekommen. Und vielleicht würde ihm die Pause auch gut tun. Aber eigentlich hatte er gar keine Lust, so lange herumzustehen. Auch nicht, wenn sein neuer Besitzer die Reifen auf 4,5 bar aufpumpte, um Standplatten zu vermeiden. Er wollte nicht stehen. Er wollte fahren! Auch wenn ihm der rechte Federteller inzwischen doch schon sehr wehtat. Trotz Versiegelung.

Schlaf schön, Krümel!

Irgendwie war es doch wie eine Kreuzfahrt, als Karsten, ein Freund vom strubbeligen Schraubertypen, ihn auf den Anhänger nahm und zu seinem Schlafplatz für. Es schaukelte und wankte, wie Krümel sich eine Kreuzfahrt immer vorgestellt hatte. Sonderlich warm war es vielleicht nicht – und Sonnenstrahlen sucht Krümel auch vergebens. Aber trotzdem war es ganz schön, nicht selbst fahren zu müssen. An seinem Schlafplatz angekommen, bekam Krümel noch einmal den Motor richtig warmgefahren und durfte neben einem Mercedes T1 Platz nehmen. Über die Luftentfeuchter im Innenraum freute er sich genauso wie über seinen Pyjama. Vielleicht wäre es doch gut, sich ein bisschen auszuruhen, nach 32 Jahren im Einsatz, dachte sich Krümel und kuschelte sich noch einmal richtig ein.

Aber in den Süden – das wollte er trotzdem noch.

 

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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Eine Antwort zu Krümel will nicht schlafen

  1. hugoservatius sagt:

    Ganz wunderbar, in meiner Garage reden die Autos auch immer miteinander und schmieden Pläne, der kleine grüne Käfer serviert immer feines Super Plus in kleinen Bechern, die Morning Cloud, eine aristokratische Britin, spricht einen Toast aus, nur Gaylord, der winzige Mini Cooper, der trinkt nicht mit, weil er noch so klein ist und Bloody Mary, ein ziemlich roter Defender möchte lieber ein Schlückchen Diesel.

    Dann erzählt The Great Silver, wie er vor 30 Jahren direkt aus England in die Familie kam, der kleine grüne Käfer wirft ein, daß er damals schon acht Jahre lang in der schönen Garage neben dem Haus in dem Park mit den hohen Birken gewohnt hat und Prince Philip, der erst kürzlich dazugekommen ist, murmelt etwas von verzärtelter Erbengeneration, täglichem Einsatz für seine 84-jährige Erstbesitzerin und seinem anstrengenden Leben im Villenviertel über der Stadt, er streicht sich sanft über die frisch lackierten Radläufe und die wieder ganz glatte, hintere, rechte Tür und ruft dann unter allgemeinem Beifall: „Kinder, laßt uns mal auf unseren Menschen anstoßen, wir haben es doch verdammt gut hier, ein schönes, warmes Zuhause, jeder hat eine farblich passende Zudecke und zu trinken bekommen wir auch genug. Denkt an all die anderen Kollegen, die bei dem Dreckswetter durch Schnee, Eis und Salz fahren müssen!“

    Allgemeine Zustimmung, nur die Bloody Mary grummelt ein bißchen: „Ich würde ja schon gerne mal wieder raus in den Schnee und meine Differentialsperren ein wenig spielen lassen!“

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