Der zweite Teil der Abenteuerreise. An einem Tag nach Westpolen und zurück, 1200 km.Von der Suche nach Spuren meiner Familie zu einem Offroadabenteuer in einem SUV.
Das Wasser tropft langsam vom Schweller herunter. Der eigentlich graue Lack ist mit einer braunen, fast lehmartigen Schicht überzogen. Die Reifen haben sich einen braunen Mantel zugelegt, die Felgen wirken auch nicht sauberer als vorher. Das „AWD“ auf den Türen kann man kaum noch lesen. Ich schaue an mir herunter. Ich bin noch genauso sauber wie zu Anfang. Also wenn man mal vom Fleck einer fallenden Frikadelle auf meinem Hemd absieht. Unser Reisegefährt sieht nach Abenteuer aus. Ich muss grinsen. Hinter mir rauschen die Autos über die deutsch-polnische Grenze.
Wer hätte gedacht, dass ein Tagestrip so spannend werden kann?
Einen Tag haben wir Zeit, 1200 Kilometer sind zu bewältigen. Das ist eine Hausnummer, wenn man nicht gerade Fernfahrer ist. Den ersten Teil der Reise haben wir schon hinter uns. Wir sind zu dritt – nein, eigentlich zu viert. Günter, unser Hobby-Ahnenforscher, der mit seinem trockenen Humor für mehr Unterhaltung sorgt als das Radioprogramm, meine Mutter, ein großer, neuer Kia und ich, der unbedingt noch einmal sehen wollte, wo seine Oma eigentlich aufgewachsen ist. Denn das ist diese Reise eigentlich:
Eine Reise nur für Oma.
Ich schaue in den Rückspiegel. Das Heimatdorf meiner Oma und meines Opas wird immer kleiner. Ich traue mich nicht lange in den Rückspiegel zu schauen, denn vor uns liegt ein Sandweg mit Schlaglöchern, in denen ganze Kleinwagen verschwinden können. Und bestimmt auch schon verschwunden sind. Ich fahre im Slalom um die größten Krater herum. Wir unterhalten uns immer noch total begeistert über den Zufall, dass man in einem kleinen Dorf auf dem Land auf Leute trifft, die aus genau dem gleichen Grund dort sind, wie man selbst. Spurensuche. Der Sorento schaukelt fröhlich von Schlagloch zu Schlagloch. Günter schaut in die Landkarte. Die Spurensuche geht nämlich noch weiter. Nur ein wenig anders…
Kennengelernt habe ich ihn nie. Ich kenne ihn nur von Bildern und Geschichten. Er, der sich weigerte die Hakenkreuzflaggen auf seinem Hof zu hissen und somit nicht nur sich in Gefahr brachte. Er, der von meiner Mutter als lieber Opa bezeichnet wird, der immer mit ihr „Mensch-ärgere-dich-nicht“ spielte. Er, von dem wir nicht so viel wissen, weil wir vor der Reise nicht nachschauen konnten. Ich, sein Urenkel, hatte nämlich die glorreiche Idee zu renovieren und finde im Moment kaum etwas wieder. Wir wissen aber eines: Er kam nicht aus dem Dorf, in dem er später einen Hof führte. Er kam aus einem anderen Ort. Südlich. Unter 400 Einwohner. Irgendwo am Ende dieses holprigen Sandweges. Wo genau? So ganz sicher sind wir uns da nicht. Nicht einmal, wie wir dort hin kommen.
Vorurteile über Vorurteile über Vorurteile. In Polen würden alle Leute in verfallenen Häusern oder Plattenbauten leben, auf den Autobahnen würden noch Fuhrwerke mit vorgespannten Ochsen fahren und die Straßen wären voller Schlaglöcher. Alles Vorurteile, die wir uns schon einmal anhören mussten. Wenn auch nicht alle direkt vor der Reise, aber alle habe ich schon einmal gehört. Der Sandweg führt an einem kleinen Ort vorbei. Hier ist wirklich nichts in der Nähe. Keine wirkliche Infrastruktur – es ist halt ländlich. Trotzdem finden wir nur ein Haus, an dem die Fassade bröckelt, keine Scheiben mehr in den Fenstern sind und ein Baum aus dem Dach herauswächst. Es wohnt wohl schon langer keiner mehr in dem Haus. Die Einwohner dieses Dorfes werden wohl nicht von Reichtümern überschüttet sein. Trotzdem ist der Rest des Ortes in einem sehr schicken Zustand. Alte Gebäude werden liebevoll renoviert – oder zumindest am Leben gehalten. Auf unserem Weg zur polnischen Grenze kamen wir durch einige kleine Dörfer in Brandenburg. Dort haben die Leute wirklich gehaust und nicht gewohnt, obwohl sie in einem wirtschaftlich starken Land leben. Armut gibt es überall. Die Einwohner dieses kleinen Dorfes machen trotzdem das Beste daraus.
Ich mag ja eigentlich keine SUV. Ich finde diese Art Auto überflüssig, sprit- und platzverschwendend und nutzlos. Sie können nicht richtig im Gelände fahren und werden meist nur in Großstädten zum Supermarkt um die Ecke bewegt und werden dort auf vier Parkplätzen gleichzeitig gefahren. Auf der Autobahn bewegen sie sich bei einhundertundachtzig Kilometer pro Stunde 2 cm hinter der Heckstoßstange des Vordermanns. Auf der Landstraße fahren sie Wohnwagen ziehend mit 80 km/h und halten alle auf. Es gibt aber drei Ausnahmen. Ich mag den Volvo XC90, den Hyundai ix35h und den Kia Sorento. Ich steuere den Koreaner wieder auf den Sandweg und bin ein wenig froh, dass der Wagen doch etwas mehr Bodenfreiheit hat. Der 2,2-Liter Diesel nagelt extrem ruhig, der Verbrauch ist mit 7,5 Litern Diesel auch in Ordnung. Was mich am Kia am meisten überzeugt ist die siebenjährige Garantie. Während andere, auch deutsche Hersteller, ihren Autos zwei oder vielleicht drei Jahre ohne Probleme zutrauen, gibt Kia sieben Jahre. Aber eins muss ich dazu sagen – Kia sind nicht mehr billig. Im Gegenteil. Sie sind inzwischen echt teuer geworden. Wobei die Verarbeitungsqualität deutschen Fabrikaten inzwischen fast nichts mehr nachsteht. Sportlich bewegen lässt er sich hingegen gar nicht, aber wer einen sportlichen SUV kaufen will, wird eh zu BMW greifen. Oder sich einen Sportwagen als Zweitwagen zulegen. Der Sandweg wird langsam zu einem Waldweg. Wir sind uns nicht mehr sicher, ob mein Uropa hier wirklich herkam… oder ob wir überhaupt noch auf eine weitere Ortschaft stoßen.
Das Wetter ist zum Reisen perfekt. Es ist nicht zu heiß draußen und es regnet nicht, obwohl der Wetterbericht es vorhergesagt hatte. Aber auf den kann man sich ja meistens eh nicht mehr verlassen. Als Küstenbewohner fehlt mir ein wenig der Wind um die Nase. Zumindest pustet die Klimaanlage mir ein wenig kalte Luft um die Nase, während der Wald immer dichter und der Weg immer matschiger und enger wird. „Und das ist wirklich der richtige Weg?“ Meine Mutter schaut aus dem Fenster. Es ist kein Haus in der Nähe zu sehen. Es hat die letzten Tage hier sehr stark geregnet. Eine große Pfütze ist vor uns zu sehen. Das Navi zeigt immer noch einen Weg an, Günter schaut lieber noch einmal in die Landkarte. Ich steige aus und mache ein Foto. Ein Weg ist auf der Karte eingezeichnet. Es scheint nur diese eine Pfütze zu sein, der Weg scheint zumindest bis zur Kurve dort hinten trocken zu sein. Wir entscheiden uns den Weg fortzusetzen.
„Du musst schnell durch das Wasser fahren, sonst fahren wir uns fest!“ Günter ist etwas nervös. Der Weg ist inzwischen kein Weg mehr. Es ist Wald. Das Radio rauscht zwischendrin immer, während ich versuche den Sorento an Zweigen und Ästen vorbei zu zirkeln. Ein Kratzer im Lack ist bei einem neuen Auto nämlich kein schönes Andenken. Vor allem wenn ich am Steuer sitze und der Wagen nicht mir gehört. „Das kann doch nicht richtig sein“, meint meine Mutter wieder von der Rückbank. Immer die richtigen Kommentare zur richtigen Zeit. Dass das nicht die Hauptstraße zum nächsten Ort ist, hätte ich mir so auch denken können. Die Pfützen werden von mal zu mal tiefer, genauso die Schlaglöcher. Der Allradantrieb arbeitet mit. Nur nicht Festfahren. Handyempfang ist hier nicht – und selbst wenn, wo genau wir sind, wissen wir nicht. Und wie sollten wir uns verständigen? Und wen überhaupt anrufen? Den ADAC? Und ob der Sorento eine Differentialsperre hat, weiß ich nicht. In Schrittgeschwindigkeit rolle ich an die nächste Pfütze heran. Eigentlich müsste man sie eher „See“ nennen. Ich schätze, dass das Wasser bis zu meinen Knien geht (Soll nichts heißen, ich habe kurze Beine). „Also umdrehen kann ich nicht. Und ich fahre nicht die drei Kilometer durch den Wald rückwärts.“ Meine Mutter muss lachen, Günter wird immer nervöser und schwitzt schon. Wir müssen da durch. Mit einem SUV, der von den meisten Leuten als großer Einkaufswagen genutzt wird und eigentlich gar nicht so für das Gelände gedacht ist. Mit einem Auto, das leer schon 2 Tonnen wiegt und auf dem matschigsten aller Böden steht. Ich möchte nicht aussteigen, aber ich schätze, dass die Profile der Reifen inzwischen voller Matsch sind und wir eigentlich auf Slicks fahren. Ich nehme meinen Fuß von der Bremse und trete auf Gas.
Der Wagen schiebt eine Bugwelle vor sich her. Das braune Wasser wird zur Gischt, als es am anderen „Ufer“ der Pfütze auf den Boden trifft. Die Rädern drehen trotz Allrad ein wenig durch, ich muss gegen das Rutschen gegenlenken. Meine Mutter findet es total spannend, Günter ist nervöser als je zuvor. Auch mein Herz pumpt ein wenig schneller. Ein letzter, leichter Gasstoß und wir sind durch. Jeder atmet für sich ein wenig auf. Besser wird der Weg nicht, nur nicht mehr so nass. Der Sorento rutscht an einigen Schlaglöchern etwas hin und her, doch der Allradantrieb lässt keine wirkliche Panik aufkommen. Ich denke kurz an meinen Golf, der in Dithmarschen auf mich wartet. Damit hätte ich nicht durch das Wasser kommen können, obwohl – das vielleicht schon, nur nicht mehr nach Hause. Unter den Rädern knacken Äste. Wir sehen in weiter Ferne ein paar Menschen laufen. Sie haben Tüten in der Hand. Es sind Pilzsammler. Wir sind wieder in der Zivilisation.
Sie schauen uns etwas verwirrt an, als wir an ihnen vorbeischaukeln und auf die Teerstraße hintern den Bäumen Kurs nehmen. Trotzdem grüßen sie uns freundlich zurück. Es ist wohl nicht sehr häufig, dass hier Autos vorbeikommen. Zumindest aus dem Wald. Die Teerstraße führt fast direkt bis zur Grenze. Wir haben noch gut 500 Kilometer an diesem Tag vor uns. Wir haben genug Abenteuer gehabt für heute. Der Dreck spritzt von den Reifen klatschend in die Radläufe, als wir beschleunigend in Richtung Grenze fahren. Wo Uropa nun genau herkam? Keine Ahnung. Wir finden es beim nächsten Mal heraus.
Gegen einundzwanzig Uhr kommen wir wieder in Dithmarschen an. Wir sind alle ein wenig überfordert von den Eindrücken an diesem Tag. Wir haben Omas Spuren wiedergefunden, haben einen SUV durch den Wald geschickt, haben neue Leute kennengelernt und können Leute nun mit Bildern von ihren Vorurteilen befreien.
Danke Polen, für dieses Abenteuer.
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