Die Zeit verändert, Teil 1 – Das Schloss in Tönning

Heute möchte ich mal eine neue Rubrik starten: „Die Zeit verändert“. comp_comp_SAM_7720aIch nehme euch heute mal mit zu einem Ort, den es schon ewig nicht mehr gibt.

Ich interessiere mich für Heimatgeschichte. Das musste schon lange mal heraus. Ichcomp_comp_SAM_7687a weiß, es ist ungefähr so, als würde man gerne Vanilleeis mit Knackwürsten essen. Oder, dass man zugibt, Bettdecken wie die Pest zu hassen. Man bekommt meist nur ungläubige Blicke, die ungefähr: „Warum das denn?! Ist der noch ganz klar im Kopf?“ sagen. Ich mag Schleswig-Holstein, besonders natürlich Dithmarschen. Mich interessierte schon immer, wie die Menschen hier früher gelebt haben und was im Gegensatz zu heute sich geändert hat. Es hat sich vieles geändert. Die Autos sind größer geworden, Häuser und Fabriken wurden umgebaut oder abgerissen und irgendwann vergessen Leute ganz und gar, dass mal etwas ganz Bedeutendes auf dem Boden passierte, auf dem sie heute leben. Schaut euch doch mal um: Überall gibt es noch Überbleibsel alter Gebäude und Anlagen, die lange nicht mehr benutzt wurden. Aber um „Lost Places“ geht es gar nicht. Ich werde keine Häuser beklettern, die kurz vor dem Einsturz sind. Sondern viel mehr auf Spurensuche gehen, was von bedeutenden Gebäuden und Anlagen heute noch übrig ist.

comp_comp_SAM_7692Als Einstieg in diese Reihe habe ich mir mal das Schloss in der kleinen Hafenstadt Tönning vorgenommen. Tönning liegt auf der Halbinsel Eiderstedt, die nördlich von Dithmarschen gelegen ist. Man muss irgendwie über die Eider fahren, wenn man von Dithmarschen nach Eiderstedt will und nicht unbedingt Lust auf einen riesengroßen Umweg hat. Ich habe mich für das Eidersperrwerk entschieden, dass seit bummelig 42 Jahren die Mündung der Eider in die Nordsee bestimmt und für einen direkteren Weg nach St. Peter-Ording sorgt.

comp_comp_SAM_7722aWenn man nach Tönning kommt merkt man sofort einen sehr niederländischen Einfluss in der Architektur. Das ist auch kein Wunder, denn Anfang des 17. Jahrhunderts kamen viele Niederländer nach Tönning und stellten dort Käse her. Der Hafen wurde dafür immer wichtiger. Man konnte den Käse auf ein Boot packen und über die Eider direkt auf die Nordsee schippern. Das war doch praktisch, oder? 1613 wurde der Hafen, wie er in Tönning heute noch zu comp_comp_SAM_7721asehen ist, gegraben. Die kleine Stadt, die ihre Stadtrechte seit Ende des 16. Jahrhunderts besitzt, wurde immer reicher und auch bekannter. Der Herzog Adolf I. von Schleswig-Gottorf sorgte dafür, dass gute Verkehrswege gebaut wurden. Der Eiderkanal Ende des 18. Jahrhundert, der die Eider mit der Ostsee verband, brachte wiederum einen wirtschaftlichen Aufschwung nach Tönning. Zu der Zeit wurde auch das bekannte Packhaus gebaut, das heute noch steht und im Winter in einen sehr großen Adventskalender umfunktioniert wird.

comp_comp_SAM_7723aMit dem Nord-Ostsee-Kanal und dem Eidersperrwerk verlor der Hafen von Tönning erst die Stellung als Durchgangshafen und dann als Fischereihafen. Heute ist Tönning noch eine sehr schöne, kleine Stadt, die von Touristen gerne besucht wird. Das Multimar Wattforum und der Großteil an alten Gebäuden zieht immer noch viele Menschen an.

Herzog Adolf I. von Schleswig-Gottorf, der sorgte eigentlich auch dafür, dass ich hier heute in meinen Kombi eingestiegen und nach Tönning gefahren bin.

comp_comp_SAM_7696aHerzog Adolf I. von Schleswig-Gottorf ließ nämlich Ende des 16. Jahrhunderts ein Schloss in der Stadt an der Eider bauen. Sein Name ist heute nicht mehr unbedingt salonfähig, weil vor über 70 Jahren ein Mann aus Österreich mal ganz blöde Gedanken hatte und auch viel Mist angestellt hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der gute Herzog für Schleswig-Holstein doch ziemlich viel veränderte. Er hatte nämlich ein großes Hobby: Schlösser bauen.

comp_comp_SAM_7697aNeben dem Schloss in Tönning ließ er auch eines in Trittau, eines in Reinbek, in Kiel und eines in Husum errichten. Selbst sein eigentliches Zuhause, das Schloss Gottorf in Schleswig, ließ er umbauen. Man kann sagen, dass er wohl gerne mal hier und mal da in seinem Herrschaftsgebiet wohnen mochte. In Tönning schaute er ab und zu mal vorbei, meist wohnte aber sein Vertreter, der sogenannte Staller, dort.

Nun seid ihr doch bestimmt auf das Schloss gespannt, oder? Hier ist es:

comp_comp_SAM_7712aNaja, hier war es. Es wurde vor fast dreihundert Jahren einfach so abgerissen.

comp_comp_SAM_7703aNaja, was heißt „einfach so“? Es war viel los zu der Zeit. Krieg war noch ein angesehenes Mittel, um seine Meinung durchzusetzen. Ein Glück hat sich das geändert…also, fast zumindest. Der dreißigjährige Krieg war in Gang und einer der Nachfolger des Schlossliebhabers baute das Schloss zu einer Festung um. Er fühlte sich so wohl sicherer. Als es Anfang des 18. Jahrhunderts zum nordischen Krieg zwischen Dänemark und Schweden kam, sagte das Herzogtum Gottorf, dass es neutral sei. War es aber nicht ganz, denn die Festung wurde den Schweden zur Verfügung gestellt. Das fand die Seite der Dänen nicht so toll und belagerte die Stadt zwei Mal. Dabei wurde das Schloss schon stark beschädigt. Als Dänemark den Krieg dann gewann, entschieden die sich dann schnell, das Schloss abzureißen. Nachdem es einhundertundfünzig Jahre das Stadtbild von Tönning geprägt hat. Weg war es.

comp_comp_SAM_7699aHeute befindet sich der Schlosspark dort. Ich muss sagen, dass der mir auch viel besser gefällt als so ein großes Haus mit vielen Fenstern, die man putzen muss und großen Räumen, die man heizen muss. Dann doch lieber Brunnen beim Springen zu sehen und Enten, die fröhlich schnatternd im Gras liegen und Mittagsstunde halten.

comp_comp_SAM_7709aDer Park liegt „zwischen“ dem Hafen und dem Markplatz. Ein kleines Stück grüne Erde mit sandigen Wegen und Löchern mit Wasser drin, auf denen Modell-Schlösser stehen und Enten astreine Wasserlandungen hinlegen. Man hört kaum Verkehr und nur das Rauschen der Blätter von den alten Bäumen. Auf diesem Flecken Erde ist schon viel passiert. Mord, Totschlag, Liebe, Krankheit, Schloss bauen, Krieg, Schloss abreißen, Bäume pflanzen, Wege anlegen, Hundekacke aufsammeln und Fahrradfahren. Wenn man nun einfach nur so durch die Gegend läuft und nicht nachdenkt, was vielleicht mal war, dann ist es hier ein Park wie jeder andere.

Aber hier ist schon richtig viel passiert.

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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0 Antworten zu Die Zeit verändert, Teil 1 – Das Schloss in Tönning

  1. El Gigante sagt:

    Cooler Heimatkunde-Unterricht 🙂

    • Freut mich, dass dir die Geschichte gefällt ;-). Ich hab noch mehr auf Lager, was die Heimatgeschichte angeht. Vieles, von dem heute auch gar nichts mehr übrig ist, so wie vom Tönninger Schloss 😉
      Schöne Grüße
      Lars

  2. Pingback: Feuerzeichen setzen – das Biikebrennen | Ein Leben mit Benzin im Blut

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