Ohne Moos viel mehr los

Keine Räder, ein kaputtes Fahrerfenster und von oben bis unten voller Moos und Algen.Würdet ihr so ein Auto kaufen? Nein? Olaf schon. Ein Glück für diesen 84er Passat GT.

„Vor der Schrottpresse gerettet“

Diese Worte liest man häufig, wenn man durch Zeitschriften blättert oder im Internet stöbert und auf einen Restaurationsbericht stößt. Oft wird dramatisch erklärt, wie das Auto, das jahrelang in einer Garage stand, nur eine Stunde nach der Rettung eigentlich vom Schrotthändler abgeholt und sofort von einer Schrottpresse gestampft worden wäre. Es kann ja schon sein, dass das auch häufig der Fall war – aber in den meisten Fällen waren die Autos von der Schrottpresse noch so weit entfernt wie die Gebrauchtwagen bei einem Kiesplatzhändler. Nicht aber so ein marsroter Passat GT aus dem Jahre 1984, der erst siebzehn Jahre (aus bisher unbekannten Gründen) im Freien auf einem Parkdeck in Hamburg auf sein Schicksal wartete und sich dann plötzlich auf einem Abschleppwagen der Autoverwertung Kiesow wiederfand. Da alte Autos ja doch irgendwie Seelen haben, wird sich die Fließheck-Limousine bestimmt sicher gedacht haben, dass die Fahrt auf dem Abschleppwagen wohl die letzte Fahrt für sie war.

Wenn man von seinem ersten Auto, einem 1976er Ford Taunus, und seinem aktuellen Alltagsauto, einem silbernen Volvo 945, absieht, hat Olaf in seinem Leben nur Autos besessen, die auf den Vornamen „VW“ und auf den Nachnamen „Passat“ hören. Mindestens 16 VW Passat sind seit 1987 durch die Hände des sympathischen Hamburgers gegangen. Dabei waren aber keine modernen Diesel-Raketen, wie sie von gestressten Vertretern über die Autobahn gejagt werden. Olaf hat sein Hobby da nur auf die ersten beiden Generationen des Mittelklassewagens beschränkt. Während Olaf früher mehr einen Blick für die zweite Generation hatte, die werksintern „Typ 32B“ genannt wird, fiel sein Interesse in den letzten Jahren mehr auf die erste Generation (Typ 32). Sein marinogelber Rallye-Passat ist ein Stammgast auf vielen Oldtimerrallyes und hat den Kofferraum inzwischen bestimmt voll mit Pokalen. Sein viperngrüner Passat TS hat euch vielleicht schon einmal auf der Autobahn überholt – und Stammleser kennen ihn vom Watt’n Törn 2.0.

Facebook ist schuld!

Olafs Fuhrpark umfasste 5 Passat 32 und den Volvo, als er das Posting von einem komplett vermoosten Passat 32B Fließheck fand, der ohne Räder auf dem Boden lag und nur noch darauf wartete, in die Schrottpresse geschoben zu werden. Während einige Leute noch jammerten, wie man ein Auto nur so verkommen lassen könnte, und andere noch rätselten, ob es sich um das Spritspar-Sondermodell „Formel E“ handelte, das schon in den 80er Jahren mit einer Start-Stopp-Automatik ausgestattet war, saß Olaf schon längst im Auto und war auf dem Weg zur Autoverwertung. Es gibt wohl nicht wirklich viele Leute, die sich so gut mit alten Passat auskennen, wie Olaf es tut. Olaf, der übrigens auch Gründer der „Passat-Kartei“ ist, hatte nämlich auf den ersten Blick erkannt, dass es sich eben nicht um einen stinknormalen Passat CL und auch um nicht um einen „Formel E“-Passat handelte. Das, was dort auf dem Bauch lag, war ein extrem seltener, 1984er Passat GT.

Viele Leser von Olafs „OST-Blog“ glaubten wohl an einen verspäteten Aprilscherz, als er am 09. April 2018 von dem Kauf des bemoosten Passats berichtete. Und auch ich konnte es zuerst nicht so ganz glauben, dass Olaf das Wrack tatsächlich gekauft hatte. Erst als er schrieb, dass es sich um einen seltenen Passat GT handelte, von dem 2012 in Deutschland nur noch 12 Stück zugelassen waren, verstand ich, warum Olaf ihn unbedingt haben wollte. Und auch warum Olaf ihn über fast drei Jahre lang penibel restaurierte. Es gibt wirklich keinen Blog im Internet, der Schraubergeschichten so toll zeigt wie Olafs. Und es gibt wohl auch nur wenige Mechaniker, die so gut arbeiten wie er. Es ist wirklich nicht übertrieben, wenn ich sage, dass Olaf in den drei Jahren einen „Besser als neu“-Wagen aus dem GT machte. Und auch wenn ich alle Geschichten gelesen habe, konnte ich es nicht so ganz glauben, dass Olaf wirklich mit dem gleichen Wagen vorgefahren kam, den er vor einigen Jahren bei Kiesow vom Hof holte.

Geiles Teil!

Natürlich steht das „GT“ nicht für „geiles Teil“ – aber hätte ich den schlechten Witz nicht gebracht, hätte ich heute Abend wohl nicht in Ruhe einschlafen können. „GT“ wird wahrscheinlich die Abkürzung für „Grand Tourismo“ sein. Auch wenn es nach dem Facelift des 32B eine Ausstattungsvariante namens „GT“ gab, die gar nicht so selten ist, ist der Vorfacelift-GT wie Olaf ihn besitzt schon so etwas wie eine blaue Mauritius – nur halt in Marsrot. Das mit „Reichlich sportlich, herrlich familiär“ beworbene Sondermodell wurde nämlich sicherlich nicht allzu häufig bestellt. Zum einen mag es daran liegen, dass es nur zwischen März und Dezember 1984 erhältlich war, zum anderen war die eher konservative Passat-Kundschaft vielleicht auch ein bisschen überfordert mit einem sportlichen Sondermodell. Mit Sportsitzen (Die hatten die 17 Jahre auf dem Parkdeck recht gut überstanden) und vor allen Dingen mit dem 1,8-Liter-Motor (Motorkennbuchstabe DZ) mit 112 PS, der aus dem Audi 80 GTE stammte, war der GT schon ein anderer Schnack als ein Saugdiesel-Variant mit Kunstleder.

Natürlich waren das nicht die einzigen Unterschiede, die ein GT zu einem herkömmlichen Passat zu bieten hatte – aber da fragt ihr lieber Olaf. Der kennt sich da deutlich besser aus, als ich es euch nun wiedergeben kann. Was ich euch aber erzählen, ist wie es ist in so einem wunderbaren Besser-als-Neu-GT Beifahrer zu sein. Als Olaf den marsroten Fünftürer nach erfolgreich bestandener Hauptuntersuchung noch ein wenig Probe fahren wollte, lud ich ihn an die Nordsee ein. Mit frischen, negativen Schnelltests konnten wir uns mit relativ ruhigem Gewissen treffen – vor allen Dingen wurde der Lockdown gerade auch etwas gelockert. An einem Sonntag fuhren wir im einem roten Konvoi von Hamburg an die Nordsee – wobei das Marsrot des Passats doch noch deutlich knalliger war als das Tornadorot meines Alltagskombi. Obwohl sie früher ein echter Verkaufsschlager waren, sieht man 32B im Straßenverkehr nicht mehr allzu häufig. Und einen GT im Rückspiegel zu haben, dürfte noch ein ganzes Stück seltener sein.

„Please fasten your seatbelts“

Kleiner Funfact am Rande: Ich bin noch nie in einem Flugzeug geflogen. Wirklich noch nie. Ich habe also eigentlich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, was die Beschleunigung eines Fliegers und der Beschleunigung eines Passat GT von 1984 angeht. Aber trotzdem stelle ich mir vor, dass die ähnlich sein muss. Der 1,8-Liter-DZ-Motor unter der Haube sorgt nämlich echt für Vortrieb. Als Olaf einmal richtig Gas gab, drückte es mich schon in den Sportsitz, der mich stark an den von Henkelmännchen erinnerte. „Es hat ein bisschen gedauert, bis ich gemerkt hatte, dass ich gar nicht Vollgas fuhr. Da war so ein kleiner Widerstand“, erzählte mir Olaf, als wir über die Landstraße pesten. Man muss auch sagen – einen coolen Sound hat der Passat auch noch. Auch wenn beim 32b der Fünfzylinder häufig als das „Non plus Ultra“ angesehen wird, bin ich mir ziemlich sicher, dass der GT müde daran vorbeizieht. Denn sorry, liebe Fünfzylinderfahrer – auch wenn eure Motoren sich toll anhören, unbedingt schnell sind die nicht. Und das werdet ihr auch zugeben, wenn ihr einmal einen DZ-Motor erfahren konntet.

Passend dazu war die Straßenlage. Wirklich wie ein Brett liegt der Passat auf der Straße. Aber etwas Anderes war wohl auch kaum zu erwarten – schließlich hat Olaf wirklich einen Neuwagen auf die Räder gestellt. Ein paar Macken sind am Passat doch noch aufgetreten, was nach 20 Jahren Standzeit aber wohl auch normal ist. Aber das sind alles nur wirklich Kleinigkeiten, die Olaf an einen oder zwei Tagen behoben haben wird. Und dann würde ich an eurer Stelle öfter Mal in den Rückspiegel gucken. Wenn ein marsroter Blitz an euch vorbeidüst, dann war es bestimmt Olaf mit einem der seltensten Autos, die einem auf den Straßen über den Weg fahren können.

Ich wünsche dir auf jeden Fall eine unfallfreie und gute Fahrt, Olaf!

Und immer eine Hand breit Sprit im Tank.


Wenn ihr die Restaurationsgeschichte von diesem Passat, Wissenswertes über Technik und einige Tipps und Tricks lesen wollt, dann schaut unbedingt mal auf Olafs Blog vorbei: KLICK! In nächster Zeit hat Olaf übrigens echt Großes vor.

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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Eine Antwort zu Ohne Moos viel mehr los

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