Von Türmen, alten Mühlen und geschmolzenen Gummibärchen.

Schon lange wollte ich wissen, ob in meiner alten Volvo-Dame noch Rallye-Gene stecken.Der Ort dafür? Die SuperVerbleit 2018. Die wohl heißeste Oldtimer-Rallye im Norden.

Mein Puls schlägt, als würde er versuchen, meine Adern auseinander zu sprengen.

Ich atme einmal tief ein. Und noch einmal. Und noch einmal. Ich versuche meinen Puls wieder ein wenig zu beruhigen, doch es klappt nicht. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, gefühlt habe ich eine Körpertemperatur von fünfzig Grad. Es weht kein Wind, der für die erhoffte Abkühlung sorgt. Die Sonne brennt, es ist stickig. Trotzdem läuft mir eine Gänsehaut den Rücken herunter. Ganz langsam, als würde sich die Nordsee bei Windstille doch dazu entscheiden, eine Welle loszuschicken. Ich komme mir vor wie ein frisch gebackener Drahtseiltänzer vor seiner ersten Aufführung. Ich schaue nach unten. Das Drahtseil ist ein ungefähr zwei Füße breiter Holzbalken. Und da drunter? Da drunter ist nichts. Die Welt um mich herum verschwimmt so langsam. Ich höre meinen Puls deutlich schlagen. Der letzte tiefe Atemzug sorgt in meinen Ohren für ein hallendes Echo. Ich sage noch einmal laut „Tschüss!“ und laufe bis zum Ende des Balkens. Ich denke kurz an Vera und springe.

Dass der Tag ein so großes Abenteuer werden sollte, konnte ich noch nicht wissen, als ich mich am Morgen des 16. Juni in meine alte Volvo-Dame Elsa setzte und am Zündschlüssel drehte. Aber ich hätte es mir denken können. Carsten (mit C), der zusammen mit Axel die Köpfe hinter den „Westküsten-Sonntagsfahrer“ [Link zu westküsten-sonntagsfahrer.de] bildet, hatte mich schon einmal auf einem Oldtimertreffen „vorgewarnt“, dass die SuperVerbleit-Rallye nicht wie andere Rallye sein sollte. Genaueres wollte er mir natürlich nicht verraten. Ein guter Schachzug, denn meine Neugierde war sofort geweckt. Nach einer geeigneten Beifahrerin musste ich mich nicht lange umsehen, denn mit dem Namen Anne und mit Spaß, Humor und einem Bachelor in Geographie ist man für die Aufgabe praktisch eh schon perfekt vorbereitet. Ich musste auch nicht lange überlegen, welches Auto ich nehmen sollte. Buckelvolvos haben früher große Rallye-Erfolge gefeiert. Sie waren vielleicht nicht immer die schnellsten, aber so robust wie Traktoren. Eigentlich genau richtig, wenn man in so ein kleines, unbekanntes Abenteuer aufbricht.

Wobei ich eines zugeben muss – so ganz zuversichtlich war ich nicht. Elsa ist eine alte Dame, inzwischen hat sie ihr einundsechzigstes Lebensjahr erreicht. Auch, wenn ich bei der dreijährigen Wiederbelebung wirklich jede Schraube in der Hand und ich auch noch nie eine Panne hatte, bei der ich stehen geblieben bin – Elsa hat immer Überraschungen auf Lager. Keine Woche vor der Rallye hatte sie so zum Beispiel ganz plötzlich massiven Ölverlust. Aus irgendeinem Grund hatte sich der Ölfilter losgeschüttelt. Das kann ich mir bis heute nicht erklären. Auch wurde Elsa laut Temperaturanzeige beim Fahren ohne Heizung ein wenig warm – also rollte ich mit der vollen Heizkraft der Volvo-Sauna in Richtung Meldorf, ein wenig nervös, ob sich Elsa für diese Tour auch eine kleine Überraschung ausgedacht hatte. Achja – in Meldorf wollte nicht nur meine Beifahrerin zusteigen, auch das Team „Quietschgelb“ und das Team „Deutz Blitz Service“ warteten dort auf mich. Wir wollten ganz stilecht im Konvoi zum Startplatz fahren.

Doch kaum war ich in Meldorf angekommen, hatte ich meine „Autohypochonder-Seite“ auch schon komplett verdrängt, denn nicht Elsa hatte sich eine Überraschung ausgedacht, sondern Anja vom Team „Deutz Blitz Service“. Kaum hatte ich Elsa abgestellt (und von Karsten – mit K, Fahrer des quietschgelben 1303 LS – ein „Du bist zu spät!“ gehört) kam die Co-Pilotin des deutzgrünen Opel Blitz an und schenkte mir ein kleines Maskottchen für Elsa. Anja hatte mir eine kleine, skandinavische Dame gehäkelt, ganz in Handarbeit – das ist ihr großes Hobby. „Vera“ heißt die Gute – und mir war sofort klar, dass bei so einem tollen Geschenk auch Elsa bestimmt gut durchhalten würde. Also setzen wir Vera vorsichtig auf die Rückbank, sortierten unsere sieben Sachen, starteten die Motoren und machte uns im dreier Konvoi auf den Weg an den Nord-Ostsee-Kanal. Im Burger Fährhaus sollte es ein Frühstück geben – und ungestärkt wollten wir alle nicht starten.

Apropos Start! Wie das halt manchmal so ist – kaum waren die Brötchen verspeist, der Kaffee getrunken, Gott und die Welt durchgekaut und die Teams vorgestellt, stellte sich Carsten (mit C) auch schon mit der Startflagge bereit, Axel hielt auch gleich die Kamera im Anschlag. Es konnte losgehen. Sofort hörte man überall die unterschiedlichsten Motoren starten – das Starterfeld war nämlich schön gemischt. Hier hörte man einen Boxermotor prasseln, dort säuselte ein ruhiger Sechszylinder, während ein Stückchen weiter ein Achtzylinder im Standgas blubbernd sein Liedchen spielte. Und das Team Watt’n Schrauber? Das hatte noch nicht einmal die Startnummern auf Elsa geklebt – was auch so ein bisschen meine Schuld war. Während das Team Quietschgelb hupend an uns vorbeifuhr und auch Anja und Andreas aus ihrem Blitz winkten, verpassten meine Beifahrerin Anne und ich Elsa noch schnell ihr Rallyeoutfit. Und dann? Dann konnte es losgehen.

Der Motor sprang sofort an, Carsten (mit C) wedelte mit der Startflagge. Wir fuhren los.

Auf ins Abenteuer!

Mein Puls beruhigt sich. Ich komme aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Gurt, in dem ich hänge, für Männer ziemlich ungemütlich sein kann und der Helm auf meinem Kopf doch irgendwie ein bisschen drückt. Noch habe ich keinen festen Boden unter den Füßen und hänge ein wenig in den Seilen wie ein nasser Sack.  Den Anweisungen vom Angestellten des Hochseilgartens in Hanerau-Hademarschen zu folgen, finde ich nach dem Adrenalinkick, wie ein Vogel über die Seilbahn durch die Baumkronen zu jagen, gar nicht so leicht. Karsten (mit K) und Anne stehen unten und lachen ein wenig, während ich ungeschickt versuche mich durch das Wirrwarr mit Seilen und Karabinerhaken zu kämpfen. Ich hatte ja mit einigen lustigen Aktionen auf der Rallye gerechnet, aber nie damit, dass ich mich von einem hohen Turm abseilen lassen würde. Der Adrenalinpegel sinkt auch nicht wirklich, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe. Als Anne und ich (bewaffnet mit dem Roadbook für Etappe 2 von 3) langsam wieder zurück in Richtung Elsa laufen, wird mir eines klar: Die SuperVerbleit ist eine Rallye wie keine andere.

Ich bin ja bisher schon ein paar Rallyes mitgefahren. Diese Rallyes hatten aber alles eins gemeinsam: Dort ging es meist darum, Zeitprüfungen zu fahren. In einer Zeitprüfungen hat man meist eine bestimmte Strecke vorgegeben, die man dann in einer ganz bestimmt Zeit fahren muss. Am besten auf die hundertstel Sekunde genau. Und genau das hat bei mir bisher noch nie so wirklich geklappt. Aber macht ja nichts, geht ja nur um Spaß.

Bei der SuperVerbleit-Rallye ist das aber anders. Dort bekommt man neben dem Roadbook für jede Etappe auch noch einen Fragebogen mit kleinen Rätselsätzen. Die Antworten auf diese Rätsel stehen irgendwo am Wegesrand – natürlich nicht immer sofort ersichtlich, teilweise waren auch echt knifflige Denksportaufgaben dabei. Könntet ihr mir aus dem Stehgreif sagen, wo Räuber Hotzenplotz eingesperrt wurde? Naa? Wirklich? Genau. Wir mussten teilweise echt Rätseln, um die Antworten auf die Reihe zu bekommen – und auch immer die Augen offen halten. Wobei – ab und zu musste man auch mal aussteigen und auch einmal ein paar hundert Meter laufen. Aber die Beine vertreten gehört ja auch dazu. Ich muss Anne übrigens wirklich loben. Die Gute hat ihre Multitaskingfähigkeiten so richtig ausgenutzt. Sie hat nicht nur prima die Karten gelesen (Für mich eine totale Umstellung mal einen Co-Piloten zu haben, der das kann!) und mich navigiert, sondern auch noch an den Rätseln geknabbert und immer nach den „Antworten am Wegesrand“ Ausschau gehalten. Die gemauerte Mühle sah sie schneller, als ich überhaupt denken konnte.

Während die erste Etappe noch ziemlich viele Sonderprüfungen und kleine Stopps beinhaltete, wurde die Etappe 2 streckentechnisch länger. Man fuhr also auch einmal größere Touren am Stück. Mal über Hauptstraßen, mal über Strecken, bei denen ich mich bis heute fragte, wieso man dort überhaupt einmal entlang fährt. Es ist mir echt ein Rätsel, wie Axel und Carsten (mit C) überhaupt auf solche Strecken gekommen sind. Ich fahre ja auch gerne einmal Nebenstrecken, anstatt mich mit dem Hauptverkehrsstrom über Hauptstrecken zu bewegen – aber solche einsamen aber durchaus sehenswerte Strecken hatte ich im Herzen Schleswig-Holsteins noch nie gesehen.

Die längeren Strecken zeigten aber auch den größten Nachteil von Elsa, den ich gar nicht so schlimm eingeschätzt hatte. Wenn die Sonne scheint und genügend Frischluft durch die Dreiecksfenster pustet, ist ja alles in Ordnung. Aber wenn sich der Himmel auf einmal dazu entscheidet, plötzlich Wasserlassen zu müssen und man alle Luken und Fenster schließen muss – dann heizt so eine Volvo-Heizung die doch recht kleine Fahrgastkabine unheimlich schnell auf. Ich glaube, es ist nicht untertrieben, wenn ich sage, dass wir teilweise fast 40 Grad in der Kabine hatten. Teilweise haben wir so richtig gelitten. So stark, dass ich am Ende der Etappe 2 gemerkt habe, dass ich dehydriert und gekocht kleine Matchboxautos genauso gut wiederfinde wie meine Autoschlüssel. Nämlich gar nicht. Ein Glück hatte Anne eindeutig bessere Augen.

Auch die Etappe drei beinhaltete wieder längere Strecken. Während Elsa ruhig (und immer noch ohne irgendwelche gemeinen Überraschungen schnurrte), konnten wir kaum so viel Wasser aufnehmen, wie wir ausschwitzten. So langsam wurde mir auch klar, warum Carsten (mit C) und Axel bei der Anmeldungsbestätigung extra noch einmal darauf hingewiesen haben, dass Ersatzklamotten nicht schlecht seien. Aber nicht nur wir sind verlaufen – das Teilnehmerfeld hatte das Gleiche getan. Auf der ganzen Etappe (mit Ausnahme des Teams „Mit ohne Türen“, die mit ihrem R4 Plaisir im Wald Schutz vor dem Regen suchten) trafen wir keine weiteren Rallyeteilnehmer. So fuhren wir immer, leicht verunsichert, durch die Gegend und freuten uns immer mal wieder über so kleine Abkühlungspause wie die Fahrt mit Fähre „Else“, der Besuch des wirklich interessanten „Museum am Wasserturm“ in Hohenlockstedt oder die kleine Pause am Schloss Breitenburg.

Die Gummibärchen waren in der Tüte zu einer homogenen Masse zusammengeschmolzen, als wir den Zieleinlauf erreichten und Elsa durchgeschwitzt verließen. Der Großteil des Teilnehmerfelds hatte sich schon eingefunden, kurz überlegte ich, ob der Anruf von Karsten (mit K) vorhin ernst gemeint war, dass alle auf uns warten würden – aber nachdem er mich am Hochseilgarten schon auf den Arm genommen hatte, dass Elsa wieder eine Ölspur hinter sich her zöge, wusste ich, dass ich den Anruf nicht allzu ernst nehmen sollte. Zumindest wollte ich ihm nicht noch einmal auf den Leim gehen. Wir gingen zu den anderen, genossen eine Tasse Gulaschsuppe und freuten uns über eine Abkühlung im Nordseewind.

Es war schon kurz vor Mitternacht, als ich Elsa in ihre Garage fuhr und den Motor abstellte. Bis auf eine nicht mehr ganz so sauber trennende Kupplung (Eindeutig Einstellungssache) und den Saunatemperaturen hatte sie echt super durchgehalten. Ich denke beim Aussteigen noch an das Grinsen von Karsten (mit K) und Shorena, die für den letzten Platz bei der lustigsten Siegerehrung, die ich je mitbekommen habe, noch einen schönen Flachmann bekamen. Wirklich allen hatte die Rallye wirklich gut gefallen – aber das kann man auch auf den Fotos der Super-Verbleit-Seite sehen [Link zu den Fotos]. Dort könnt ihr euch auch das tolle Starterfeld ansehen, das ich in der Aufregung ganz vergessen habe, auf Bildern festzuhalten.Jeden Tag, wenn ich nun in die Garage gehe und die Startnummern sehe, die inzwischen statt an Elsa an der Wand hängen, denke ich an diese wunderbar verrückte Rallye. Wenn ihr auch einmal Lust habt, eure Autos zu bewegen, Spaß zu haben und am nächsten Tag Muskelkater in den Bauchmuskeln vom Lachen haben wollt – dann ist die SuperVerbleit-Rallye für euch genau das richtige.

Ich freue mich auf jeden Fall schon tierisch auf die nächste Ausgabe. Das Team „Watt’n Schrauber“ wird auf jeden Fall wieder mitmachen.

Ganz egal, ob mit Sauna oder ohne.


Viele Grüße an Carsten, Axel und die Helfer, die so eine wunderbare Rallye auf die Beine gestellt haben. Der Tag war wirklich entspannt und hat super viel Spaß gebracht. Wir freuen uns schon sehr auf die nächste Ausgabe – und sind gespannt, was ihr dann mit uns anstellt! Schöne Grüße auch an Anne, die sich als super Beifahrerin bewiesen hat – und an Anja und Andreas vom Team Deutz Blitz Service, für die tolle, neue Glücksbringerin. Und natürlich auch an Karsten, der es geschafft hat, mich den ganzen Tag zu verarschen ;-).

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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5 Antworten zu Von Türmen, alten Mühlen und geschmolzenen Gummibärchen.

  1. Rayman sagt:

    Prima Bericht! Die Begeisterung kommt gut rüber. Wer auf Altblech steht, sollte in der Tat gelegentlich an solchen Veranstaltungen teilnehmen. Erstens gibt es ja mittlerweile richtig Auswahl, für jeden Geldbeutel und jede Terminlage. Und zweitens ist das die beste Gelegenheit auf Austausch mit der Altblech-Community. Wie ich finde, sogar besser noch als auf den bekannten Retro-Messen und Ausstellungen, wo leider abseits der Clubstände, Kommerz immer mehr in den Vordergrund rückt.

    Schon mal alles Gute und gute Gespräche für die nächste Rallye!

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey Rayman,

      du hast vollkommen recht. Auf Rallyes und auf Treffen habe ich schon echt viele, tolle Kontakte geknüpft. Auf Messen hingegen überhaupt keine. Vielleicht bin ich den Ausstellern dort auch einfach zu jung. Oder dem Publikum. Oder beiden ;-).

      Fährst du denn auch häufiger Rallyes?

      Schöne Grüße
      Lars

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