Osterabenteuer.

„Unternehmt doch mal was!“, meinte der Osterhase zu uns. „Ein Abenteuer, ja?!“

Wir machen eine Osterausfahrt. Wie vor sechzig Jahren. Immer dem Stern nach.

Der Himmel ist grau. Das Blöken der Schafe hört man kaum gegen den Wind. Wir stecken unsere Köpfe in den Motorraum. Vorsicht am Krümmer. Der ist heiß. Er drückt mit einem großen Schraubenzieher die Lichtmaschine auf Spannung. Ich ziehe mit einem rostigen Maul- und einem silberfarbenglänzenden Ringschlüssel die Schraube wieder fest. Der Kühler kocht zum Glück nicht. Nicht viele Autos fahren die Deichstraße entlang. Die Insassen der Autos, die es tun, schauen trotzdem.

Oldtimerfahren. Ein echtes Abenteuer.

Wir bekamen Post vom Osterhasen. Man sollte die Zeit sinnvoll nutzen, meinte er. Nicht am Smartphone oder vor der Spielekonsole sitzen. Oder am PC. Rausgehen, Leute kennen lernen. Die Zeit so genießen, wie man sie gerne genießen möchte. Dem Hobby frönen. Auch mal analog leben. Nicht nur digital. Frische Luft genießen. Landschaft schauen. Die Langsamkeit entdecken. Auch mal raus aus dem Alltag. Ein kleines Abenteuer unternehmen. Spaß haben. Instinktiv handeln.

Wir haben uns die Worte des Osterhasen zu Herzen genommen. Auf zu neuen Ufern. Naja, fast. Ganz so mutig sind wir dann doch nicht. Aber zumindest an einen anderen Ort des gleichen Ufers – der Nordseeküste. Die Werkzeugkiste fällt um. Das Werkzeug verteilt sich auf dem bröckeligen Teer der Feldeinfahrt, in der wir stehen. Fluchen hilft nicht. Der Krümmer strahlt ganz schön Wärme ab. Ein Glück kocht der Wagen nicht.

„Deine Werkzeugkiste!“, meint JM, während er an der Lichtmaschine drückt, um den Keilriemen zu spannen. Ich kenne ihn seit der fünften Klasse. Ich huste nur als Antwort, die Dieselabgase seines Mercedes 170V, der warnblinkend und ruhig nagelnd am Straßenrand steht, pusten mir in das Gesicht. Elsa hat den Weg zu ihrem Herzen geöffnet. Wir müssen uns kurz darum kümmern, dass es noch ein paar Kilometer weiter schlägt. Es ist gerade einmal ein Viertel der Strecke geschafft. Ein Auto hupt als es an unserer kleinen mobilen Oldtimerwerkstatt vorbeifährt.

Die Tour war schon lange geplant. Einmal die Nordseeküste entlang nach Friedrichskoog-Spitze. Dort dann ein Eis einverleiben und wieder zurück. Ganz gemütlich, über Nebenstrecken. Der Mercedes fuhr mit uns die Tour schon einmal. Elsa nicht. 17 Jahre hat die alte Dame gestanden, bevor ich sie im September 2016 wieder zugelassen habe. Auch, wenn ich bisher noch nirgendwo mit ihr stehen geblieben bin – man merkt ihr die Standzeit noch an.

Auch der Mercedes wollte nicht so recht. Die Batterie. Laut nagelnd und sich schüttelnd stand der Mercedes auf dem Hof, als ich mit der goldbeigeglänzenden Limousine ankam. „Es könnte sein, dass der nicht wieder anspringt“, meinte JM. Wir saßen also im selben Boot. Zwei über 60 Jahre alte Oldtimer, zwei einundzwanzigjährige Fahrer und keiner von uns beiden wusste, ob wir unser Ziel überhaupt erreichen werden. Oder wieder zurück kommen. Wer braucht da schon einen Fernseher mit Krimi?

Wir fuhren los.

Es ging alles recht gut. Wenn auch langsam. Mit 38 Diesel-PS ist der Mercedes kein Beschleunigungswunder. Kalte, unsynchronisierte Getriebe dämpfen die Beschleunigung noch einmal mehr ein. Zum Schalten braucht man da Zeit, Geduld und Fingerspitzengefühl. Das hat kaum noch jemand. Wir waren keinen Kilometer unterwegs, als ein Audi erst dicht auf Elsa auffuhr, überholte und beim Wiedereinbiegen den Mercedes schnitt. Der Fahrer hielt sein Smartphone in der Hand. Wir jeweils ein großes Lenk, nein… ein großes Steuerrad.

65 km/h sind eigentlich eine schöne Reisegeschwindigkeit. Finde ich.

Der Konvoi lief ruhig. Ohne Zwischenfälle. Irgendwann quietsche Elsa stark. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Ich hasse neue, falsche Geräusche. Ich merke, dass Elsa etwas wärmer wurde als sonst. Ich dachte, sie bräuchte mehr Fahrtwind, beschleunigte auf 80 und zog am Mercedes vorbei. Elsa wurde noch wärmer. Das Quietschen stärker. Scheiße. Keilriemen. Kein Keilriemen – keine Wasserpumpe. Scheiße. Panne.

Unsere Hände kühlen im eisigen Nordsee-Wind wieder ab, als wir die Werkzeuge einsammeln. Der Keilriemen sitzt wieder fest genug, der Krümmer kann gleich weiter noch mehr Wärme erzeugen. Das ist das Schöne an alten Autos. Ja, sie können auch mal kaputt gehen oder Schwächen zeigen. Wer würde das nicht nach sechzig Jahren Arbeit? Aber mit einem Schraubenzieher und ein paar rostigen Schraubenschlüsseln sind sie meist wieder in Gang zu bekommen. Sie wollen halt auch mal etwas Aufmerksamkeit.

JM öffnet die Selbstmördertür des Mercedes, ich schließe den Kofferaum von Elsa. Als ich in der fast winddichten (Das Fahrerfenster geht nicht ganz zu) und warmen Kabine sitze, atme ich kurz auf. Ich drehe am Zündschlüssel, die Vierzylinder brummeln nach keiner ganzen Anlasserumdrehung wieder zurück ins Leben. Die Wasserpumpe fördert, nichts quietscht. Der Mercedes rollt los, die Rußwolken werden immer kleiner. Ich lege Elsas ersten Gang ein, lasse die Kupplung kommen und fahre hinterher.

Es ist schön, die Welt zu sehen, wie sie vielleicht vor 60 Jahren hier auch gesehen wurde. Dass ein Mercedes diese Straße entlang fuhr, ist vielleicht gar nicht mal so unwahrscheinlich. Volvos waren hier noch nicht so häufig. Die Wolken sind grau, wir hoffen, dass es nicht regnen wird. Elsas Ventile tickern fröhlich, ich höre das Nageln des Diesels durch das offene Fenster.

Es liegen zwar nur drei Jahre zwischen unseren Autos, aber es gibt schon einen richtigen Unterschied. Der Mercedes ist eigentlich ein Vorkriegsauto, das nach dem Krieg weiter gebaut wurde. Der Volvo PV 444 wurde 1944 vorgestellt, ab 1947 gebaut und war 1957 eigentlich auch schon ganz schön veraltet. Elsa sieht eher amerikanisch aus, während der Mercedes noch voll im Vorkriegsdesign da steht. Der Mercedes hat noch eine Karosserie aus Holz und Blech, Elsas Karosserie ist selbsttragend und komplett aus Schwedenstahl.

Wir kommen an einem Kreisverkehr an. JM muss sich nun genau überlegen, welchen Gang er nimmt. Die ersten beiden der vier unsynchronisierten Getriebe sind extrem kurz übersetzt – und das Hoppeln eines Vorkriegsautos ist ungemütlich. Mit Elsa habe ich es da leicht. Zum Anfahren den ersten, sonst den zweiten oder dritten. Ich schalte mit etwas Zwischengas in den zweiten und sehe den Mercedes vor mir flott um den Kreisel flitzen. Es war wohl der dritte Gang der richtige. Friedrichskoog. Noch 15 Kilometer.

Elsa, ob du das schaffst? Ich habe die Heizung voll an, damit der Motor noch besser gekühlt wird. Ich merke das offene Fenster gar nicht. Schweiß läuft mir in Tropfen die Stirn herunter. Die Lammfellbezüge auf den Sitzen machen es nicht kälter. Vielleicht braucht Elsa noch mehr Fahrtwind? Ich setze ein zweites Mal zum Überholen an. Ich schaue rüber in den Mercedes. Auch JM scheint zu schwitzen.

Oldtimer fahren ist anstrengend. Wir sind beide hoch konzentriert.

Wir fahren in eine Ortschaft und werden beide mit Lichthupe gegrüßt. Blitzer? Oldtimerfreund? Wir verlassen uns auf die mehr oder weniger genauen Tachometer unserer alten Herrschaften. Elsa hält ihre Temperatur, das Nageln des Diesels wird immer ruhiger und ruhiger. Das erste Mal entspanne ich mich. Es wäre ja wirklich nicht spannend in einem Golf Diesel diese Fahrt zu machen. Oder vielleicht sogar in einem Auto aus den 80er Jahren. Ein Plonk. Der Fahrtwind hat die Haube entriegelt. Ich ziehe am Hebel und schließe sie wieder.

Der Weg nach Friedrichskoog ist recht entspannend. Platte Landschaft, man kann jeden Osterhasen schon meilenweit vorher sehen. Die Autos hören auf zu überholen. Unser langsamer Konvoi scheint ansteckend zu sein. Entdecke die Langsamkeit. Es wirkt tatsächlich entspannend. Der Krampf in meinem rechten Bein nimmt langsam ab. Die Leute hetzen nicht mehr so. Ich schaue auf die Armaturen. Öldruck, Temperatur, Tankinhalt. Alles stimmt. Das Amperemeter zeigt nichts.

Der Seitenwind ruckelt am Schwaben, gar nicht einmal so sehr an der Schwedin. Die sechs Volt Blinker ticken leise, als wir auf unseren Zielparkplatz biegen. Es ist alles voller Touristen und Tagesgäste, obwohl das Wetter echt ungemütlich ist. Leute glotzen, Leute lachen. Langsam zirkeln wir an den großen Lenkrädern die schmalen aber langen Oldtimer durch die Wege des Parkplatzes. In einer leeren Ecke, kurz vor dem Deichaufgang, sehen wir den Osterhasen, wie er uns fröhlich winkt. Wir fahren zu ihm.

„Habt ihr euer Abenteuer ja doch geschafft!“, ruft uns der Hase zu. Wir haben für 60 Kilometer gut eineinhalb Stunden gebraucht. Ich stelle Elsas Motor ab, der augenblicklich knackend und tickend abkühlt. Ich streichel über Elsas Armaturenbrett. „Hast du toll gemacht.“  JM lässt den Mercedes lieber laufen. Wir steigen aus, wir beide sind verschwitzt und geschafft. Aber glücklich. Verdammt glücklich. Der Osterhase möchte uns ein Eis kaufen. Wir lehnen dankend ab. Der zieht scharf um unsere leicht klammen Köpfe. Erkältung brauchen wir nicht. Wir trinken jeder zehn Liter Wasser und sind zufrieden.

„Ich hab nicht viel Zeit“, meinte der Osterhase zu uns. „Hauptsache, ich habe euch mal zu einem kleinen Abenteuer verholfen! So, die Arbeit ruft. Es ist gerade Saison.“ Er hoppelt davon. Weder JM noch ich wollen die alten automobilen Herschaften hier stehen lassen.

„Wollen wir?“ – Jo, wir wollen. Wir beide öffnen die Fahrertüren unserer Autos und machen sie mit Schwung zu. JM legt den ersten Gang ein und rollt los. Ich drehe an Elsas Zündschlüssel, die alte Schwedin springt sofort an.

Unter erstaunten und erfreuten Blicken rollen wir vom Parkplatz in Richtung Heimat. Sechzig Kilometer liegen vor uns. Sechzig Kilometer Langsamkeit, Zwischengas und Ruhe. Ich lehne mich zurück und freue mich. Ob wir wohl wenigstens in einem Rutsch nach Hause kommen werden?

Wir werden.

Danke, Osterhase, für dieses kleine Abenteuer. Wir werden das nun öfter machen.

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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5 Antworten zu Osterabenteuer.

  1. marcrudin sagt:

    Ihr macht das richtig und braucht die Autos! Nix drüber reden, man könnte, sollte mal wieder blabla. Weiter so ihr 2! Grüsse vom Halbneuwagenfahrer (1975, 1983, 1996) aus der CH 🙂

    • Halbneuwagen? Das sind ja fast noch Dreiviertelneuwagen ;-).

      Das hat auch wirklich Spaß gebracht. Bei Facebook kamen ein paar Kommentare, dass die Fahrzeuge ja zum Nutzen gebaut wurden und unsere Tour nichts besonderes war. Kann sein. Aber das war Elsas erste weite Tour nach 17 Jahre Standzeit. Und sie hielt durch!

      300 Kilometer hat sie das Osterwochenende geschafft. Durchschnittsverbrauch 8,1 Liter. Das Auto ist gut für einen Geizhals wie mich ;-).

      Schöne Grüße
      Lars

      • marcrudin sagt:

        Für den Eismeerküsten-Schwaben 🙂

        Klar sind die Kisten zum Fahren gebaut, man muss davon nicht berichten. Aber man kann und viele Interessierte lesen das dann auch gerne. Ich inklusive. 🙂

        • Ich lese übrigens gerade ein echt interessantes Buch über den Einstieg ins Oldtimerhobby. Das werde ich hier auch noch einmal rezensieren.

          Aber ab Freitag ist hier für 5 Tage erst einmal Öko-Woche eingeläutet 😉

          Schöne Grüße
          Lars

  2. Pingback: Watt’n Jahr 2017! – Ein Rückblick. | Watt'n Schrauber.

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