„Sowas kannst du nicht fahren!“

So ein altes Auto ist ein bisschen wie ein kleiner Hund. Alle Leute freuen sich darüber.

Und sie sprechen einen an. Oft kommt es zu lustigen Situationen. Hier ist eine davon.

Der Wind pustet. Mir wird kalt. Ich stelle meinen Kragen auf. Neben mir steht ein älterer Herr. Er friert nicht. Er hat sich warm geredet. Buschige Augenbrauen, kleine Brille, knollige Nase, unter der Mütze schauen ein paar schwarz-graue Haare heraus. Ich schätze ihn auf Anfang oder Mitte 70. Ich spüre etwas nasses im meinem Gesicht. Ich weiß nicht, ob es Regen ist oder die feuchte Aussprache des Herrn. „Und deshalb haben die schwedischen Autos auch so eine gute Heizung“, höre ich ihn sagen und sehe ihn auf Elsa deuten. Sie steht vor uns. Glänzend, als würde sie jeden einzelnen Sonnenstrahl auffangen, der es noch durch die düstere Wolkendecke schafft. Der Mann redet weiter. Er freut sich. Elsa freut sich.

Ich freue mich am meisten.

Wenn man einen Oldtimer hat und damit auch fährt, sollte man Zeit haben. Wenn man nicht gerade als Menschenkauz durch die Gegend läuft und alle patzig wegschimpfen möchte. Ähnlich ist es wohl auch bei kleinen, süßen Hunden. „Darf ich den streicheln?“ ist wohl ein Satz, den man oft hört. Ich habe keinen Hund. Ich habe Elsa. Am Straßenrand stehen die Leute und winken. Sie fotografieren. Oder sie schauen einfach nur. Und sie sprechen einen an. So auch heute.

Es fing schon beim Tanken an. Nachdem ich die alte schwedische Dänin mehr oder weniger elegant an die Zapfsäule gesteuert  und so meine Mühen mit der Zapfpistole und dem Tankrohr hatte, kam eine ältere Dame an. „Schickes Auto, junger Mann!“ Ich bedankte mich und sagte, dass das Elsa sei. „Elsa?“, sie schaute mich dabei verwirrt an. „Soso.“ Sie ging nicht weiter ohne mir noch einen Blick zu schenken. Ein Blick aus Verstörtheit. Angst. Und Mitleid. Ich finde Namen für Autos ja okay.

Fast 20 Liter gingen in den Tank. Ich spielte gerade mit dem Bleiersatz in meiner Hand herum, als der Herr von der Zapfsäule gegenüber ankommt. „Das dachte ich mir, dass der noch mit Gemisch läuft!“ – „Gemisch? Nein, Nicht ganz“, antwortete ich. „Ich kippe etwas Bleiersatz zu.“ – „Jaja, Gemisch, meine ich doch!“ Die Gedanken in meinem Kopf kreisten. „Braucht der eigentlich Benzin? Oder Super?“ Die Gedanken fuhren nun fast Achterbahn. An dieser Shell-Tankstelle gab es schon lange kein „Normalbenzin“ mehr. „Äh, nein. Super. Ganz normal“, hörte ich mich antworten. Ich hatte es geschafft, der Mann war verwirrt. Er lächelte kurz und ging.

Ich dachte, der Tag wäre schon komisch. Und nun stehe ich hier, vor meinem alten Volvo, und höre mir Stories des Mannes mit den fetten Augenbrauen an. Und friere dabei. Eigentlich war ich nur kurz ein bisschen Obst aus dem Supermarkt holen. Das wollte ich auf der Facebook-Seite von „Watt’n Schrauber“ – hier zu finden: Klick! schreiben. Mit ein paar Bildern. Gerade als ich dabei war, die Fotos zu machen, kam von hinten der Herr angeschlichen.

„Tolles Auto, oder?“, hörte ich ihn in einem Akzent sagen, den ich nicht kannte. „Natürlich!“, antwortete ich freundlich. „Komisch, dass sich so ein junger Mann wie du sich dafür interessiert.“ Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich hätte „Ja, das ist meins!“ sagen müssen. Nein, hätte ich nicht. Dann wäre es nicht so lustig geworden.

„Sowas wird ja gar nicht mehr gebaut.“ Der Mann hat nach zwanzig Minuten neben mir seine Starre und seine Philosophie über schwedische Autos verlassen und geht auf Elsa zu. Er klopft mit dem Fingerknöchel seines rechten Mittelfingers auf Elsas vorderen linken Kotflügel. Ich hasse es, sage aber nichts. „Heute hat man ja nur noch lackiertes Plastik.“ – „Jaja“, kommt aus meinem Mund. Ich möchte gerne unwissend tun. Ich weiß, was noch für Geschichten kommen. Es sind meistens die gleichen. „Ich glaube, die hatten damals eine Blechdicke von 1,2 Millimeter.“ – „Ja, das war noch Blech! Richtiger Schwedenstahl. Das rostet nie durch. Haha!“ Ich denke an die mehr-als-faustgroßen Rostlöcher, die Elsa beim Kauf im Heckblech, Kotflügel, Schweller, Frontmaske und Radhäuser hatte. Schwedenstahl rostet nie. Ich weiß.

„Wie alt mag der wohl sein?“ Der Mann rätselt. Seine Nase ist rot und knollig. Meine auch. Es gibt schon komische Insekten, die einem dort hinein beißen. Bevor ich ihn fragen kann, ob es auch so ein komischer schwarzer Käfer war, ruft er mir „Wohl so 40 Jahre?“ zu. „Ich denke, da können Sie noch 20 Jahre dazu rechnen.“ – „Nee, dann wäre der ja von…“ Nicht nur mir ist es zu kalt. Er bekommt die selbstgestellte Aufgabe nicht mehr gelöst.

„Schönes, großes Lenkrad! Da gab es noch keine Servolenkung. Das ist noch richtige Männerarbeit gewesen!“ Mit stolz geschwellter Brust steht er neben der Fahrertür und macht mit ausgestreckten Armen Lenkbewegungen. Es sieht lustig aus. Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu lachen. „Aber Gurte hat das Auto schon. Ist ja auch ein Volvo. Die sind sicher!“ Zu Anfang rätselte er noch, was für ein Auto das sei. Erst war es ein Opel. Dann ein Ford. Dann las er Volvo.

„Ich glaube, das Getriebe muss man noch mit Zwischengas fahren“, meine ich zu ihm. Ich möchte wissen, ob die übliche Reaktion kommt. „Ja, ja, natürlich! Das muss man richtig im Gefühl haben! Sonst geht das nicht.“ Sie kommt. „Ja, auf sowas sollten die jungen Leute das fahren lernen! Wie alt bist du?“ – „Einundzwanzig“, sage ich zu ihm und erwarte ab nun das „Sie“. Übliche Reaktion. „Siehst du, sowas kannst du gar nicht fahren! Das lernt man euch nicht mehr! Da braucht man Gefühl, Gehör. Ist nicht so wie ein neues Auto. Der hat auch noch einen Choke!“ Mir wird langsam echt kalt, die Äpfel in der Jackentasche und die Bananen in meiner Hand werden langsam Tiefkühlobst.

Ich möchte den Mann ein bisschen ärgern. Ich wühle Elsas Schlüssel aus meine Hosentasche, gehe an ihm vorbei und schließe den Kofferraum auf, während er sich die Nase an der Scheibe platt drückt. „Der Kofferraum ist auch schön groß“ Mit strahlenden Augen kommt er zu mir an den Kofferaum. „Ohja, da geht noch was rein! Und die Öffnung! So schön groß!“ Ich ärgere mich ein bisschen. Er hat nicht kapiert, dass es mein Auto ist.

Ich mache die Klappe zu, schließe wieder ab und ziehe den Schlüssel aus dem Schloss. Der Mann lächelt mich an. Ich gehe zur Fahrertür und schließe sie auf. Sein Blick entgleist. „Das ist dein Volvo?“ – „Äh, ja. Das ist meiner. Seit vier Jahren. Selbst wieder fit gemacht“ – „Oh, das ist doch toll!“, stammelt er. Etwas rot ist er geworden. Der Rest des Gesichtes passt sich der roten Knollennase an. „Ich muss nun auch los,  äh..sonst bekomme ich kein Abendbrot mehr.“ Meine frohen Osterwünsche hört er nicht mehr. flotten Schrittes geht er in Richtung Supermarkt. Ich freue mich, lache etwas und streichel Elsa über ihr Armaturenbrett. Ich will mich anschnallen und merke noch die Äpfel in der Jackentasche.

Ich steige aus und schließe den Kofferraum auf. „Oh, ein schöner Volvo!“ Ich höre eine leise Stimme eines älteren Herrn hinter mir. Ich drehe mich um. Ein älterer Herr mit einer älteren Dame im Arm. Sehr altmodisch angezogen. Ich sehe einen „Wachtturm“ aus der Tasche herausblitzen. Beide lächeln sehr nett. „Dankeschön!“ – „Der ist doch bestimmt schon ein Oldtimer, oder?“

Ich schließe die Kofferraumklappe wieder, stelle meinen Kragen weiter auf und lehne mich an Elsas Rücken. So kann schnell aus „Kurz-Einkaufen“ eine Stunde werden.

Und ich genieße jede einzelne Sekunde davon.

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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10 Antworten zu „Sowas kannst du nicht fahren!“

  1. Martin sagt:

    Ohja, das kenne ich auch. Und genauso hasse ich es, wenn wildfremde Menschen glauben,mit dem Fingerknöchel oder der ganzen Hand aufs Blech zu hauen und zu sagen: „noch richtiges Blech“ etc. Blabla. Oder alles Mögliche zu befinden. So als gehörte ihnen das Auto. Da bin ich schon fast froh, mit meinem Saab 900 Turbo 16S ohne Embleme rum Zufahrten und keiner beachtet mich, weil das Auto, obwohl 32 Jahre alt, eben nicht wie ein typischer Oldtimer daherkommt. Obwohl irgend jemand hat ihn mit einem Skoda 135 Rapid verwechselt… Ähnlich mit dem Audi Typ 43, den Volvos und dem W123. Halt völlig normal ?

    • Am besten noch mit einem Ring am Finger, oder? 😉

      Ich finde das Beachten ja gar nicht mal so schlecht. Freut mich auch, wenn andere Leute sich an meinem Auto erfreuen. Beim Cabrio hat es sich in den letzten stark geändert. Erst wurden wir nicht beachtet, wenn dann nur mitleidig angeschaut, inzwischen ist es komplett andersherum.

      Welches Auto von dir wird denn am meisten angeschaut?

      Schöne Grüße
      Lars

  2. Hallo Lars

    Sehr schöner Bericht, der mir sehr gefallen hat. Sicher gefällt dieser Bericht vielen Oldtimer-Liebhaber. Oldtimer-Besitzer und solche die es noch werden wollen.

    Ich selbst werde auch an der Tankstelle, etc. Angesprochen.

  3. marcrudin sagt:

    Ach Lars, ich kann Dir so beipflichten, müsste auch mal was drüber schreiben.
    Am schönsten sind immer die Zöllner, mit „junger Mann in altem Auto“ können die nicht umgehen. Sowas MUSS rausgenommen werden, egal wenn dann 20 ukraninische Atomabfallschmuggler vorbeifahren, aber der Junge der muss jetzt mal richtig kontrolliert werden.

    Gerne habe ich das in meiner Jugend den auch weiter provoziert, zB im Billigst-Mustang III Dach offen im März, Kuhjungenhut auf und Mucke auf laut. Sowas geht nicht, nein das kann und darf nicht sein. 🙂

    Mit dem Firebird ist natürlich die klassische Frage bzw. eher Aussage zum Verbrauch, das mit dem 40 Litern wissen irgendwie alle. Wobei, letzthin kam ein junger Mann im M3 tankte nebenan und sagte nur anerkennend, „schönes Auto“.
    Die ältere Generation bringt da die schönsten „Geschichten“. Teilweise echt spannende Erlebnisse von damals und teilweise einfach ein durchlüften des Gehirns. 🙂

    • Schöner Mann in jungem Auto? Wie? 😉

      Ich finde die Geschichten, die Leute mit ihren Autos verbinden ja am besten. Habe gestern mitbekommen, dass jemand hier im Dorf sehr gerne mal mit Elsa mitfahren möchte. Mir natürlich eine Ehre, den Wunsch bald zu erfüllen!

      Hat das provozieren das denn auch geklappt? Ich glaube, da hätte ich dich wohl auch rausgewunken. Wurde ich übrigens neulich auch mal wieder, aber mit dem Golf 4 Kombi. Fahrzeugschein, Führerschein, Verbandskasten und weiter ging die Fahrt ;-).

      Schöne Grüße
      Lars

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