„Sie sind ungezogen!“

Es gibt Situationen, die kann sich keiner ausdenken. Niemand würde sie einem abkaufen.Trotzdem erlebt man sie immer wieder. Heute: Eine Begegnung an der Tankstelle.

Es gehört zu den normalsten Dingen der Welt.

Zumindest für Autofahrer gehört es zum Alltag wie Essen, Schlafen, Trinken, Atmen und Liebemachen. Wovon ich rede? Vom Tanken, natürlich. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass das Tanken die am meisten gehasste Tätigkeit eines jeden Autobesitzers ist. Wandert die Tanknadel immer weiter in Richtung des roten Bereichs, wird es früher oder später zum Zwang, dass man eine Tankstelle ansteuert. Egal, ob man dafür extra losfährt oder unterwegs einen Zwischenstopp einlegt: Es fühlt sich an wie verlorene Zeit. Man möchte weiter, man möchte ankommen – aber doch nicht tanken. Wobei der Tankvorgang auch manchmal für Glücksgefühle sorgen kann, besonders, wenn man freie Zapfsäulenwahl hat. Wobei die Freude meist nur von kurzer Dauer ist. Spätestens, wenn man den Zapfrüssel in der Hand hat und der Literpreis aufleuchtet, weiß man, warum die Tankstelle menschenleer gewesen ist. Das passiert aber immer nur, wenn die Nadel schon seit einigen Tagen nicht mehr aus dem roten Bereich herauskam, der Motor schon stotterte und man keine andere Wahl hat, als seinen Tank von innen zu vergolden.

Doch da hört es noch nicht auf.

Viel schlimmer sind aber immer noch überfüllte Tankstellen. Entweder hat sich an der einzigen Dieselpumpe schon eine Schlange von fünf oder sechs Autos gebildet oder das Auto, hinter das man sich brav gestellt hat, hat einfach keinen Besitzer. Ich stand einmal über eine viertel Stunde hinter einem herrenlosen Fiesta, der die einzige Dieselpumpe versperrte. Als die Besitzerin ankam, wusste ich auch warum. Sie hatte nicht nur getankt, sondern auch gleich ihre Jahresration Süßigkeiten, drei Klatsch-Zeitschriften und vier Stangen Zigaretten gekauft. Sollte man das Glück haben und gleich eine freie Pumpe erwischen, fasst man als Dieselfahrer meistens an einen klebrigen Zapfhahn, denn die Handschuhe sind immer leer. Der Dieselgeruch bleibt dann als Erinnerung immer noch ein paar Tage haften. Doch selbst wenn alles glatt lief – spätestens an der Kasse endet es im Chaos. Entweder funktioniert die Kreditkarte des Vordermanns nicht oder die Kassiererin reicht ihm andauernd die falschen Zigaretten, weil er „Gauloises“ nicht richtig aussprechen kann. Und wenn man denkt, es geht nicht mehr schlimmer, kommt ein aufgeregter, kleiner Mann hektisch fuchtelnd rein, der schreiend erzählt, dass die Waschanlage nicht richtig waschen würde: Sein SUV hätte sich verkeilt.

Es gibt also wirklich allen Grund, das Tanken zu hassen.

Und trotzdem habe ich irgendwie Spaß dabei. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass ich zu viel Geld hätte und mich darüber freue, es zu verbrennen – auf gar keinen Fall! Viel mehr freue ich mich, die Leute zu beobachten, wenn der Treibstoff in den Tank meines Autos gluckert. Oft sind dabei schon lustige Situationen entstanden. Als ich vor knapp über drei Jahren meinen Alltagsgolf „Harald“ kaufte, kam VW gerade mit der Dieselkrise in die Schlagzeilen. Ein Mann kam eines Tages meckernd an und meinte zu mir, dass VW-Diesel sowieso bald alle verboten wären. Ich warte noch heute darauf. Ein anderer Herr meinte mal, meine alte Volvo-Dame „Elsa“ würde noch mit Gemisch laufen, als ich Bleiersatz dazu kippte – aber davon habe ich euch schon einmal erzählt. Solche Geschichten passieren aber eher selten. Deshalb verschwendete ich auch keinen Gedanken daran, als ich neulich wieder einmal singend zur Tankstelle fuhr.

Ich hatte wirklich gute Laune. Das Wetter war zwar doof, aber daran ändert schlechte Laune auch nicht wirklich was. Die Straßen zu meiner gut zehn Kilometer entfernten „Stammtankstelle“ waren frei, die Musik war gut und als ich den Preis von 1,209€ für den Liter Diesel sah, konnte meine Stimmung auch nicht mehr schlechter werden. Fröhlich trällernd setzte ich den Blinker, fuhr auf den Hof der Tankstelle und konnte meinen Augen kaum glauben – die Tankstelle war wie ausgestorben. Nur bei den Staubsaugern wurde ein goldener BMW gerade mächtig gewienert. Besser ging es wirklich nicht. Ich stellte Harald an eine der zwei Diesel-Säulen ab, drückte den Knopf, der quietschend den Tankdeckel öffnete, stieg aus, drehte den Verschluss auf, nahm den Zapfhahn und ließ den Diesel in den Tank laufen. Inzwischen ist das alles Routine – laut Spritmonitor habe ich das bei Harald bisher 155 Mal gemacht.

„Sie haben sehr schlechte Manieren!“

Schnaufend schaut mich der Herr mit dem großen Schnauzbart an. Kurz wundere ich mich, dass seine Sonnenbrille vor lauter Schweiß gar nicht beschlägt, als die Zapfpistole klickt. 40,10€. Der Tank war noch fast halbvoll. „Und nun sagen Sie gar nichts mehr, oder was?“, haucht er mich noch einmal wütend an. Kurz tippe ich auf Tsatsiki, denke dann aber doch eher an ein Fischgericht mit Knoblauch. Wir sind hier ja schließlich an der Nordsee. Mir fällt nichts mehr ein, was ich noch antworten könnte. Und auf Diskussionen habe ich auch keine Lust mehr. Zu bizarr ist die Situation, ich habe schon längst den Faden verloren. Genauso sage ich es ihm auch. „Soll ich es ihnen noch einmal erklären?“, sagt er plötzlich erstaunlich ruhig in einem Akzent, den ich nicht zuordnen kann – ich muss wirklich mehr reisen. „Gut, ich erkläre es Ihnen noch ein einziges Mal. Hören Sie zu!“

Die linke Hand stemmt er sich stolz in die Hüfte, mit der rechten Hand stützt er sich an der Dachreling meines Kombis ab. Irgendwie erinnert er mich dabei an die alte Teekanne meiner Oma, die inzwischen nur noch als Deko auf meinem Küchenschrank steht. Nur halt mit Karohemd, einer goldenen, feinumrahmten Pilotensonnenbrille mit Schnur und einer braunen, leicht verwaschenen Stoffhose. Die Teekanne ist auch noch ein wenig schlanker. Und fährt keinen goldenen SUV. „Sie wissen ja anscheinend nicht, was sich gehört!“, sagt er forsch zu mir, als ich den Zapfhahn ruhig wieder in die Zapfsäule hänge. Ich war schon erstaunt, dass er das Aussaugen seines Autos so plötzlich unterbrach, als ich den Zapfhahn der Säule 2 in mein Auto hing. Wie von einer Biene gestochen sprang er in seinen Wagen, startete den Motor und fuhr los. Doch wirklich viel dachte ich mir nicht dabei. Erst, als er seinen Wagen direkt vor meinen parkte, wusste ich, dass es unterhaltsam wird.

Kaum hatte er die Tür geöffnet, ging das Gepolter los.

„Was fällt Ihnen eigentlich ein?“, rief er mir mit hochrotem Kopf zu, als er (sich leicht im Gurt verheddernd) fast aus dem Auto fiel. Eigentlich war mir sofort klar, dass er nur den Schnurrbartaufkleber auf der Frontstoßstange meines roten Golfs meinen konnte. Inzwischen können sich Menschen ja durch alles angegriffen fühlen – und dieser Schnurrbartträger regte sich nun einmal über den Aufkleber auf meinem achtzehn Jahre alten Kombi auf. Dachte ich. „Nein, nein. Das soll kein Spott sein, das ist zum Spaß gemeint“, rief ich ihm beschwichtigend zu, um ihn nicht gleich an meine Kehle springen zu lassen. „Was ist zum Spaß gemeint? Dass Sie mir meinen Platz wegnehmen, oder was?“ brüllte er mich an, als er sich zwischen dem rechten Außenspiegel meines Autos und der Zapfsäule hindurchquetschte. So ganz verstand ich ihn nicht. „Welchen Platz habe ich Ihnen denn weggenommen?“, fragte ich ihn erstaunt. Dann stand er direkt vor mir, mit verschränkten Armen und einem hochroten Kopf. Ein Schwall von Schimpfereien und Meckereien brach aus ihm heraus. Ich verstand kein einziges Wort.

Seitdem sind aber ja schon wieder einige Minuten vergangen. „Ich bin zuerst auf dem Gelände der Tankstelle gewesen – aber das habe ich Ihnen ja auch schon gesagt“, meint er inzwischen etwas ruhiger zu mir, während ich in meiner Hosentasche nach meinem Portemonnaie wühle. So wirklich will es nicht aus der Tasche heraus, vielleicht kann ich mich auch einfach nicht genug konzentrieren. Die ganze Zeit überlege, nein – hoffe ich, dass es nur Nieselregen ist, der mir ins Gesicht peitscht und nicht die feuchte Aussprache des BMW-Fahrers. „Und Sie haben es auch zugegeben!“, sagt er triumphierend, während ich noch über kleine Knoblauch-Sabber-Flecken auf meinem Gesicht nachdenke. Ich musste gar nichts zugeben – es war ja so. Sein Auto stand vor meinem auf dem Tankstellengelände. „Dort hinten an den Staubsaugern haben Sie gestanden und ihr Auto gesaugt, als ich hier auf den Hof fuhr“, antworte ich ihm. Ich möchte nur endlich verstehen, was er eigentlich von mir will.

„Aber ich kann immer noch nicht verstehen, was genau nun Ihr Problem ist.“

Kurz wie ein Walross in seinen Schnurrbart schnaubend nimmt er die Hand von der Dachreling meines Autos und verschränkt seine Arme. „Ich wollte hier tanken“, platzt es aus ihm heraus. Jetzt wird mir alles klar. Kurz muss ich an ein kleines Kind denken, das an der Supermarktkasse kein Überraschungsei bekommen hat – immerhin liegt er nicht schreiend auf dem Boden. Das wäre aber wohl auch ein bisschen nass. „Sie wollen hier tanken? Und deshalb meckern Sie mich seit fünf Minuten so an? Hier sind doch noch genug freie Zapfsäulen. In der Zeit hätten Sie Ihren Tank schon lange vollhaben können“, lächle ich ihn an. Am liebsten würde ich laut loslachen, aber meine gute Kinderstube verbietet sowas. „Du hast ja schließlich Manieren, Lars“, kichere ich leise in mich rein. „Mein Auto braucht aber Diesel!“, antwortet mir der Mann entsetzt auf meinen Hinweis, inzwischen beide Arme in deine Hüften stemmend.

Ich deute ohne etwas zu sagen auf Säule 1, an der auch ganz groß „Diesel“ geschrieben steht. „Dann hätte ich ja umdrehen müssen! Ich war zuerst hier, mir hätte dieser Platz zugestanden!“, bölkt er mir wieder entgegen. Kurz schaue ich auf sein Auto. Der Tankdeckel ist auf der Beifahrerseite, mit der Fahrerseite steht er allerdings zur Zapfsäule. Wenn er nicht gerade leidenschaftlich gerne den Schlauch der Zapfsäule um sein Auto wickelt, hätte er umdrehen müssen, um an der Säule zu tanken, an der ich gerade stehe. Für die Säule 1 hätte er das nicht gemusst. „Ja, dann… dann tut es mir leid.“ Ich habe keine Lust mehr auf Diskussionen. Es wurde genug gemeckert. Ich klappe den Tankdeckel meines Autos zu und schließe es ab. Ohne auf seine Reaktion zu warten, gehe ich in den Laden.

„Einmal die 2? Das macht 40,10€!“

Die Kassiererin schaut mich neugierig an, als ich die letzten Reste aus meinem Portemonnaie kratze und ihr in die Hand drücke. „Was hatte der Herr denn eben? Der war ja ziemlich wütend!“ Sie reicht mir den Kassenbeleg hin und schaut nach draußen. Der BMW-Fahrer steht inzwischen an Säule 1, tankt seinen Wagen und meckert immer noch vor sich hin.

„Och, ich glaube, der hat schlechten Fisch gegessen“ antworte ich ihr und lächle.

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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6 Antworten zu „Sie sind ungezogen!“

  1. thorsten sagt:

    Ich belege auch immer 4 Zapfsäulen, die Waschanlage und den Staubsauger gleichzeitig. Und wehe, einer nimmt mir die Luft weg…
    Ist das etwa nicht normal???

    Aua…

    Ich glaube, ich hätte nicht höflich bleiben können und ihn gefragt, ob er mit seiner winzigen Marge hier alles gepachtet hat. Das ist einer von denen, die Folgestaus erzwingen, weil sie keinen durchlassen wollen. Altdeutsche Krankheit würde ich sagen.

    Mir passieren in letzter Zeit auch lustige Sachen beim Tanken, weil ich das ja öfters mal mit den alten Dienstautos mache. Beim Saab 96 mit dem Boller-V4 hat neulich tatsächlich mal ein Mechaniker (!!) der angrenzenden VW-Werkstatt gefragt, ob da ein V8 drin ist..

    Der S70 steht immer noch auf der Bühne und wird langsam gemacht, den bekommt ein schraubunfähiger Kollege in richtig durchrepariert irgendwann im September. Frontantrieb ist eben doch nix für mich, zumindest nicht in einem Volvo.

    Kannst dich ja mal melden, wenn du mal wieder auf der Durchreise bist, ich komme von meinem Hof kaum weg. Zuviel Arbeit!

    Grüsse!

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey Thorsten,

      es gibt halt nichts, was es nicht gibt. Aber ich musste darüber lachen – deshalb habe ich ja auch die Geschichte geschrieben :-). Deine Story mit dem Saab ist aber auch klasse!

      Was wird denn der Nachfolger für den S70? Bleibst du etwa doch deinem Caddy treu? Oder wird der Turbo dein Dailydriver?

      Wenn ich mal wieder vorbeikomme, melde ich mich gerne einmal! Momentan ist es bei mir mit der Arbeit auch recht zeitraubend. Aber wat mutt, dat mutt!

      Schöne Grüße
      Lars

      • thorsten sagt:

        Der Caddy kommt definitiv weg, 20 Jahre 9kv sind genug. Daily wird was mittelaltes aus dem VW-Konzern, was möglichst wenig verbraucht und mit etwas Einsatz eine halbwegs lange Lebensdauer hat. Also ein TDI 1,4 oder 1,9 in einem relativ kleinen Auto mit möglichst langem Getriebe…
        Bevorzugen würde ich einen A2, da hauen aber die Preise ganz schön ab. Schauen wir mal. Platz genug für einen grösseren Hund muss in dem künftigen auch noch sein, bei einem Kleinwagen wird der dann wohl zum Zweisitzer….

        Grüße

  2. David sagt:

    Moin Lars,

    es ist wirklich erstaunlich wie oft ähnliche Situationen (nicht nur beim Tanken) passieren…
    Auffällig ist, wie häufig sowas durch… nennen wir es mal „Familienväter im Urlaub“ passiert, die versuchen dem aufgezwungenen, familiären Miteinander durch banale Alltagstätigkeiten aus dem Weg zu gehen 🙂

    Ich hatte an der Waschanlage meines Vertrauens neulich ein ähnliches Erlebnis mit dem Fahrer eines Audi, der dem Kennzeichen nach aus der Nähe meiner alten Heimat kam…

    Vielleicht reichen zwei Wochen Nordseeurlaub für manche nicht aus um einfach mal runterzukommen und vom „Hier komme ich!“ zum „Alles gut.“ umzudenken 🙂

    Hier könnten die Volkshochschulen in Süddeutschland vielleicht aktiv werden und entsprechende Urlaubsvorbereitungskurse anbieten 😉

    Mit volvo- und solexschraubenden Grüßen von der anderen Seite der Eider,

    David

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey David,

      da hast du recht! So Urlaubsvorbereitungskurse und „Sei-da-um-dich-zu-entspannen“-Seminare. Wobei ja viele Leute schon so mega entspannt sind, dass sie nur noch mit 40 über die Landstraße fahren. Oder die hatten einen Pharisäer zu viel… 😉

      Was macht denn deine Solex? Läuft sie schon?

      Schöne Grüße
      Lars

      • DAvid sagt:

        Leider nein… Wirkliche Fortschritte gibts da noch nicht.
        Ich kann ja ohnehin nur am Wochenende überhaupt was machen und hab neben den ganzen Fortbildungen auch noch nen 100 Jahre alten Kleiderschrank für meine Liebste restauriert.

        Zusätzlich verlangt der Solex-Motor nach Spezialwerkzeug, dass ich versuche irgendwo zu leihen. Für einmal Benutzen mag ich das einfach nicht für teuer Geld kaufen.
        Bei der Solex passiert also derzeit nicht wirklich viel, dafür hab ich bei meinem 240er Volvo dieses Jahr keinerlei Fortschritte gemacht 😉

        Dezentrales Schrauben ist einfach immer schwierig aber die Besichtigungen für Resthöfe im schönen Nordfriesland laufen – vielleicht „zentralisiere“ ich meine über Bundeslandgrenzen hinaus verteilte Fahrzeugsammlung dann doch schneller als mir lieb ist 🙂

        Schönen Gruß und guten Start in die Woche

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