Dackelrettung – Teil 1

Alea iacta est. Nicht nur die Würfel, sondern auch meine Entscheidung ist gefallen.Mein Dieseldackel „Harald“ wird repariert. Nur nicht in der Werkstatt, sondern von mir.

Ich drücke auf den Knopf meines Autoschlüssels und die Zentralverriegelung gibt laut klackend den Zugang zum Auto frei. Ich setze mich hinter das Steuer meines alten Kombis. Irgendetwas war aber doch eben anders? Ich entscheide mich noch einmal auszusteigen und zu gucken. War etwa schon wieder ein Reifen platt? Irgendwie sah das Auto nämlich anders aus. Ich gehe ein paar Schritte vom Auto weg und schaue schräg auf das Heck. Die Reifen haben Luft, die Anhängerkupplung ist auch nicht angebaut. Besonders sauber oder besonders dreckig ist das Auto aber auch nicht. Trotzdem wirkt es anders. Die Scheiben sind ganz, das Kennzeichen ist… nicht da. Wo ist das Kennzeichen? Geklaut? Hier? Eher nicht. Ich hab doch nicht…

Cut. Zwei paar Tage früher.

Wirtschaftlicher Totalschaden. Das war die Diagnose einer Werkstatt. Mein alter, roter Kombi sollte ein wirtschaftlicher Totalschaden sein. 2000€ standen im Raum. Eher noch mehr. Ich war verunsichert.  „Ob sich das noch lohnt?“  Die Liste war lang:

  • Zweimassenschwungrad vermutlich defekt
  • Querlenker beginnendes Spiel
  • Ölverlust unbekannter Herkunft an Motor und Getriebe
  • Kennzeichenbeleuchtung ohne Funktion (vermutlich Kabelbruch)
  • Standlicht vorne links defekt
    und zu guter Letzt
  • Motor fällt sporadisch in den Notlauf. Fehlermeldung: Ladedruck Regelgrenze überschritten – vermutlich Turbolader defekt

Ich wusste nicht genau, was ich machen sollte. Gerade wegen des sporadischen Notlaufs, der den Turbo immer wieder abschaltete. Als ich darüber philosophierte, ob ich mir nun einen anderen Wagen kaufen oder noch einmal ein wenig Geld in den Wagen stecken sollte, kamen Kommentare wie „Weg damit! Steck das Geld in ein GEILES Auto!“ (Schöne Grüße an Sandmann 😉 , aber auch an Turboseize-Martin ), aber auch viele TDI-Tipps und -Tricks von verschiedensten Leuten. Vielen, lieben Dank noch einmal dafür! Nach einigen überschlafenen Nächten, erfolgloser Alternativen-Suche im Internet und einem kurzen Gespräch mit Jürgen war klar: Harald wird weiterleben. Ich repariere ihn selbst.

„Die Beleuchtung ist ja das geringste Übel. Vorne brauchst du nur ein neues Leuchtmittel, aber bei der Kennzeichenbeleuchtung? Sicherung und Leuchtmittel sind in Ordnung. Irgendwo ist da ein Kabelbruch.“

Eine gut und richtig funktionierende Beleuchtung am Auto ist ziemlich wichtig. Nicht nur für mich. Sehen und gesehen werden. Das Standlicht kann noch nicht lange kaputt sein, neulich habe ich erst kontrolliert. Dass die Kennzeichenbeleuchtung trotz neuer Leuchtmittel nicht ging, wusste ich aber. Die Leuchtmittel hatte ich selbst ersetzt – ohne Erfolg. Ich wollte mich darum kümmern, wenn ich mehr Zeit habe. Wie jetzt.

Die Standlichtbirne war schnell ausgetauscht. Ich habe immer genügend Leuchtmittel in der Garage liegen. Ich ziehe vorsichtig an der Verkleidung der Heckklappe. Ich mag keine Plastikverkleidungen. Ich hasse sie sogar. Naja, wenn sie geschraubt sind, habe ich nicht so viel dagegen. Aber geclipste Verkleidungen mag ich überhaupt nicht. Ich habe mein „Jetzt helfe ich mir selbst“-Ausgabe für den Golf 4 auf dem Tisch neben mir liegen. Aber die ist so hilfreich bei der Reparatur wie die letzte Ausgabe unserer Lokalzeitung. Das Internet erwies sich auch als nicht wirklich hilfreich. „Erst die beiden Schrauben lösen und dann vorsichtig ziehen, sonst könnten die Clips herausbrechen.“ Achnee. Viel lieber würde ich an den Frontscheinwerfern eine Birne auswechseln. Und sogar das mag ich bei dem Golf schon nicht. Ich bekomme alle ohne Beschädigung an. Nur an einer habe ich mich geschnitten. Können ganz schön scharfkantig sein, die Dinger.

Ich packe die Verkleidungen vorsichtig auf den Tisch und stolpere dabei über das hintere Kennzeichen und die Halterung, die zu Anfang abgebaut habe, um einmal zu messen, ob überhaupt Strom ankommt, was aber nicht der Fall war. Also hat die Werkstatt mit ihrer comp_comp_SAM_7674Diagnose „Kabelbruch“ wohl recht gehabt. Das Kennzeichen bringe ich erst einmal zur  Sicherheit in den Schutz der Garage, ich will es nicht kaputt trampeln. Ich nehme mir wieder das Multimeter in die Hand und fange mit dem Forschen an. Ich bin verwundert, wie viele Kabel da durch meine Heckklappe laufen. Und wie erstaunlich rostfrei diese für einen Golf 4 Variant ist. Das Kabelwirrwarr hat etwas von diesen langen, süßen Kaustangen, die es auf dem Jahrmarkt immer zu kaufen gibt. Nur wahrscheinlich nicht so lecker. Ich verfolge die Kabel von der Fassung die komplette Heckklappe entlang. Irgendwann führen beide (zusammen mit anderen Kabeln) in eine schwarze Ummantelung. Ich habe keine Lust die aufzupulen. Aus der Ummantelung heraus gehen die Kabel in einen Stecker. Ich prüfe das Kabel einmal auf Durchgang. Es hat Durchgang. Das ist also in Ordnung.

Von dem Stecker führen die Kabel in die Heckklappe und verstecken sich dann (Kabel sind ja gar scheue Wesen) in diesen Gummitüllen, die man sieht, wenn man die Heckklappe aufmacht. Dass dort der Kabelbruch sein könnte, ist gar nicht einmal so unwahrscheinlich. Schließlich „knicken“ comp_comp_SAM_7678die Kabel dort. Wenn wir Menschen und oft bücken müssen, obwohl wir das gar nicht gerne mögen, bekommen wir wohl irgendwann erst Muskelkater und dann Rückenschmerzen. Knicken mögen Kabel nie gerne, gerade, wenn sie schon etwas älter sind. Von der Gummitülle verlaufen die Kabel dann unter dem Dach des Wagens in Richtung D-Säule. Von dort aus dann runter in Richtung Rückleuchte. Dazwischen finde ich leider keinen Stecker. Auch das „Jetzt helfe ich mir selbst“-Buch ist wieder keine Hilfe. Ich bereue es schon meist, dass ich dafür Geld ausgegeben habe. Meine Tüte „Schrauber-Lakritz“ geht langsam zur Neige. Ich hätte mir eine Neue kaufen sollen.

Das Kabel anzustechen um Durchgang zu messen ist natürlich ein absolutes NoGo. Das ist wie Cabriolet fahren mit einem Dieselmotor. Oder Herbst ohne frische Äpfel. Oder comp_comp_SAM_7679überfüllte Strände. Oder dreckige öffentliche Toiletten. Ihr wisst, was ich meine. Ich entscheide mich dazu das Kabel optisch zu begutachten. Vielleicht kann ich es ja sehen, dass es von seiner Aufgabe ein Heckklappenkabel zu sein, ganz geknickt ist. Ich löse den Stecker an der Heckklappe, puhle die Kabel irgendwie raus, bis sie vor mir liegen. Ummantelt mit einem schwarzen Klebeband. Diese scheuen Dinger, die. Ich ziehe das Klebeband vorsichtig ab und merke, dass ich es noch mehr hasse als Plastikverkleidungen. Der Mist klebt schlimmer als Sekundenkleber (aber der klebt ja eh nie was… also ein schlechter Vergleich) und schlimmer als die Kaugummis unter meiner Schuhsohle. Die Kabel sehen das erste Mal seit 16 Jahren Tageslicht, wenn auch etwas verklebt. Ganz scheu und zusammengefercht in ihrem Rudel schauen sie mich an.

Und ich sie. Und keines ist äußerlich beschädigt.

Ich müsste es durchmessen, um sicher zu sein, dass das Kabel nicht innerlich beschädigt sind. Leider kann ich nicht sehen, wohin der Kabelstrang verläuft, nachdem er die comp_comp_SAM_7682D-Säule heruntergeschlängelt ist. Ich beneide Leute nicht, die mit diesem Fummelkram tagtäglich ihr Brot verdienen müssen. Drei Stunden fummel ich jetzt schon an dem Auto herum. Ich bräuchte einen Schaltplan. Ich habe keine Lust noch mehr Plastikverkleidungen unnütz abzubauen. Ich setze mich auf die Heckstoßstange meines alten Kombis. Meine Hände kleben, ich mag nichts mehr anfassen. Ich gehe sie erst einmal waschen und schauen, ob ich nicht noch irgendwo eine Tüte Lakritz liegen habe.

Ich schaue auf den Klapptisch, den ich als mobile Werkbank missbrauche. Das Werkzeug liegt dort neben Plastikverkleidungen und wartet auf weiteren Einsatz. Auch mein Handy liegt dort. Ich entscheide mich das Gleiche zu machen wie immer, wenn ich comp_comp_SAM_7680keinen Rat mehr habe. Ich kontaktiere Jürgen. „Hast du mal die Sicherung überprüft? Müsste Nummer vier sein.“ Habe ich nicht. Schließlich meinte die Werkstatt ja, sie hätte die Sicherung überprüft. Ich öffne die Fahrertür und die Klappe zum Sicherungskasten. Mit der kleinen Zange ziehe ich an der Sicherung Nummer 4. Ich schaue sie an. Ich schaue auf die ausgebauten Verkleidungen auf dem Tisch neben mir und auf meine zerschnittenen Finger. Und ich schaue noch einmal auf die Sicherung. Ich muss lachen. Laut lachen. Die Stecksicherung ist hin. Die ganze Arbeit, alles umsonst. Ich schreibe Jürgen eine SMS zurück.

„Ja, die ist hin.“

Wieder Cut. Wieder zwei paar Tage später.

Ich gehe in die Garage. Zum Teil lachend, zum Teil aber auch mit schlechten Gewissen. Ich schäme mich ein wenig. Nachdem ich die Sicherung ersetzt hatte und alles funktionierte, war der Zusammenbau des Autos schnell erledigt. Naja, was heißt comp_comp_SAM_7683„schnell“? Es wurde schon langsam schummerig und ich auch müde. Ich hatte nicht erst Lust, das Kennzeichen wieder aus der Garage zu holen. Das könnte ich ja auch morgen machen. Der Halter wanderte schon einmal an seinen Platz. Am nächsten Tag ging ich ohne daran zu denken zum Auto. Und da es rückwärts eingeparkt war, ist es mir auch nicht aufgefallen. Anscheinend auch keinem im Straßenverkehr, denn ich nicht darauf hingewiesen. Aber ich bin an dem Tag auch nicht viel gefahren. Ich nehme das Kennzeichen von der Standbohrmaschine und gehe zum Heck meines Kombis. Der alte Raffay-Kennzeichenhalter hält es nach dem Einklipsen gut fest. Leicht lachend steige ich wieder in mein Auto. Die nächste Baustelle soll abgearbeitet werden.

Nach kurzem Vorglühen springt der Diesel an. Was lerne ich aus der ganzen Geschichte? Dass ich immer an meinen selbstgesetzten Prinzipien festhalten sollte:

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

&

Alles, was in unter zehn Minuten erledigt ist, sofort erledigen.

Vielen Dank an Jürgen für die Hilfe! Teil 2 der „Dieseldackelrettung“ geht es ein wenig weniger chaotisch zu. Lag vielleicht auch daran, dass ich eine neue Lakritztüte hatte…

 

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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