Ernie und B… Elsa.

 Ich freue mich immer neue Leute kennenzulernen. Besonders, wenn sie Oldtimer mögen. Heute geht um einen tollen Tag mit alten Autos und frischem Fisch. Ganz unvirtuell.

So langsam schmerzen ihre Knie. So ganz weich, wie sie sich den Dünen-Sand vorgestellt hatte, ist er doch nicht. Millionen von kleinen Steinen drücken sich in ihre frisch epilierten Beine. So langsam wird sie nervös. Seit einer halben Stunde versucht sie schon ein passendes Selbstportrait hinzubekommen. Nein, kein einfaches Selfie. Ein Selbstportrait. Es muss Kunst sein. Die Spiegelreflexkamera ist schon voller Sand, aber es will ihr einfach nicht gelingen. Mal weht der Wind ihre langen, frisch geglätteten und blondierten Haare durcheinander, mal hat sie die Fernbedienung für den Selbstauslöser nicht genug versteckt. Außerdem ist sie sich noch gar nicht sicher, ob sie bei Instagram später #malibu oder doch #stpeterording schreiben wird. Sie sieht zwei lachende Menschen über den Holzsteg laufen, der direkt an der Düne vorbeiführt. Die beiden scheinen diesen Pfingstmontag und den Moment zu genießen. Irgendwas erzählen sie, aber der Wind ist zu scharf, um sie zu verstehen. Ihr ist nicht zum Lachen zumute. Gequält zieht sie ihren Rock zu recht. Viel lieber würde sie jetzt in ihrer Jogginghose auf dem Bett liegen. Das Foto muss nun endlich in den Kasten, ihre dreiundzwanzigtausend Follower warten schon. Wenn doch nur einer davon hier wäre, um ihr zu helfen…

Soziale Netzwerke. Man kann sie hassen, man kann sie mögen.

Der Sand unter unseren Sohlen knirscht auf den Holzbohlen des alten Stegs, der geradewegs an den Dünen vorbeiläuft. Wir haben der langsam untergehenden Sonne den Rücken zugekehrt und schlendern nun langsam zurück in Richtung Parkplatz. Es wird langsam frisch. Nach zwei Zärtlichkeit hassenden Hunden, einigen kreativen Sandburgen und plötzlich auftauchender Andrea-Berg-Musik, die wir auf unserem kleinen Strand-Spaziergang bereits erlebt haben, wundern wir uns auch nicht mehr über die aufgedonnerte Blondine, die sich vor ihrer Kamera im Dünensand  rekelt, ab und zu ein Lächeln aufsetzt und andauernd an ihrer Kleidung zieht. „Wenn man es richtig nutzt, können soziale Medien schon praktisch sein“, meint meine sympathische Begleitung lachend zu mir. Und recht hat sie. Denn ohne soziale Netzwerke würden wir nun nicht gemeinsam über den Strand laufen und hätten auch nicht einen tollen Tag miteinander verbracht. Einen Tag mit alten Autos, frischem Fisch, viel Sonne und noch mehr Spaß.

Aber lasst mich euch erzählen.

Hein, mein alter, abgerockter Mercedes hatte mich mal wieder genervt. Irgendwas klappte wieder beim Schrauben nicht, was sich bei der „Wiederauferstehung“ des Autos durchzieht wie ein roter Faden. Gerade, als ich wieder auf der Facebook-Seite  von Watt’n Schrauber [Link zu facebook.com/wattnschrauber] über den alten Kahn motzen wollte, sah ich, dass Janine, die Betreiberin der Facebook-Seite „Käferliebe“ [Link zu facebook.com/kaeferliebe], nach anderen Oldtimerfahrern suchte, die Lust hätten, an Pfingsten vielleicht spontan ein bisschen durch die Gegend zu cruisen. Da ich Elsa eh mal wieder bewegen wollte, meldete ich mich bei ihr. Das Internet real machen. Das gefällt mir.

Und so kam es dann, dass die hübsche Hamburgerin mit ihrem kultigen Käfer „Ernie“ heute Mittag bei uns auf den Hof gefahren kam. Ernie hatte sich schon von weitem mit dem typischen Geprassel des Boxermotors angekündigt. Meine Mutter, obwohl gerade tief im Gespräch mit unserer Nachbarstochter vertieft, schnappte das Geräusch schon auf, als der weiße Volkswagen noch gar nicht zu sehen war. „Laaaaars!“, rief sie mich aus der Garage heraus, „Dein Besuch kommt an! Das ist Käfermusik!“

Der Boxermotor verstummte, die Fahrertür öffnete sich. Schon als der erste rote Schuh das Pflaster unserer Auffahrt berührte und wir uns noch gar nicht begrüßt hatten, war Janine mir sofort sympathisch. Das Rot ihrer Schuhe trug nämlich fast den gleichen Farbton wie die Innenausstattung ihres Käfers Ernie. Und wer sich so mit seinem Auto identifiziert, der kann das Herz wirklich nur am rechten Fleck haben. Natürlich wurde mein Bauchgefühl mit der herzlichen Begrüßung keine Minute später auch sofort bestätigt.

Nach einem kleinen Klönschnack im Kühlen und einer kleinen Führung durch den Watt’n Schrauber-Fuhrpark, entschieden wir uns endlich der Tätigkeit nachzugehen, für die wir uns eigentlich getroffen hatten: Cruisen. Als Ziel einigten wir uns auf das kleine Städchen Friedrichsstadt. Friedrichsstadt, wegen seiner Grachten auch „Klein Amsterdam“ genannt, liegt an dem Fluss „Eider“ im Herzen von Nordfriesland, also ganz im Norden der Republik. Wie sich herausstellte nicht nur einer meiner Lieblingsplätze im Norden, sondern auch der von Janine. Und so startete Janine ihren Ernie, der mit seinem Motor fröhlich prasselnd auch Elsa animierte trotz zwei Wochen Standzeit auf die erste Anlasserumdrehung anzuspringen.

Auf der Fahrt nach Friedrichsstadt wurde mir so langsam auch klar, warum Elsa so schlagartig wie sonst angesprungen war. Anscheinend hatte es der kleine Käfer aus der großen Stadt an der Elbe geschafft, die alte Dame mit seinen großen Scheinwerfern um den Finger zu wickeln. Sie schnurrte wie ein Kätzchen über die Landstraßen und fuhr so flott wie noch nie. „Fang mich doch!“, schien die alte Dame  keck zu sagen, aber Ernie hielt auch locker mit. Ernie und Elsa fegten über die Landstraßen, spielten mit den Sonnenstrahlen, ließen Leute winken und genossen die Fahrt nach Friedrichsstadt genauso wie Janine und ich. Oft schaute ich auf den weißen Käfer in meinem Rückspiegel und dachte über den Platz in meiner Garage nach. Umso erstaunter war ich, als Elsa auf einmal das Kopfsteinpflaster der historischen Altstadt Friedrichsstadt unter den Rädern hatte. Die Fahrt verging einfach wie im Fluge.

Aber nicht nur Elsa und ich waren dem Charme von Ernie sofort verfallen. Nachdem wir endlich ein (kostenloses) schattiges Plätzchen für die beiden Rundrücken gefunden hatten, kam sofort ein (Ehe-?)Paar auf uns zu, die schon beim Einparkvorgang die Stand-Up-Paddler und Treetbootfahrer ignorierten und lieber uns zuschauten. Kaum waren wir ausgestiegen, hatte die beiden der glänzende Chrom und der saubere Lack dann auch schon ganz angelockt. Natürlich wurde auch Elsa angeschaut, aber zu Ernie konnten die beiden eindeutig mehr erzählen. Es ist halt Kult, das Krabbeltier aus Wolfsburg. Weder Janine noch ich haben die aktive Zeit von Käfern im Alltag erlebt, aber wenn man Erzählungen, alten Fotos und der Stückzahl von über 21,5 Millionen gebauten Autos glauben darf, waren Käfer ja früher allgegenwärtig. Selbst meine Mutter, die sich eigentlich nicht so für Autos begeistert, erzählte Janine vor unserer Abfahrt einige Geschichten über den himmelblauen VW Export ihres Vaters.  Irgendwann verließ uns das Pärchen. Ernie und Elsa schienen ein bisschen zu flirten. Wir ließen die beiden lieber alleine und erkundeten Friedrichsstadt zu Fuß, beobachteten die Menschen in den Cafes und vor den Geschäften, ärgerten uns beide über die fehlende Sonnencreme und genossen die Atmosphäre der kleinen Stadt.

Als wir von unserem kleinen Spaziergang zurückkamen, sahen wir schon von weitem, dass die beiden Turteltäubchen wieder einmal gestört wurden. Eine Gruppe von Menschen hatte sich um Ernie versammelt und machte Fotos. Die Deutschen lieben den Käfer halt. Er ist niedlich, er war treu. Er ist Herbie, er ist Dudu. Er ist mehr als nur ein Auto. Er ist ein Familienmitglied, ein guter Freund.  The Love-Bug.

Und genau diesen Käfer-Kult wollte ich nach unserer kleinen Tour nach Friedrichsstadt einmal selbst erleben. In den zweiundzwanzig Jahren, die ich nun hier auf diesem Planeten schon verbracht habe, hatte ich nämlich noch nie in einem Typ 1, wie der Käfer ja eigentlich heißt, gesessen. Ich hätte mal fast einen sehr rostigen (Was auch sonst bei mir?) gekauft, da fiel aber aufgrund fehlender Sitze das Probesitzen aus. Ganz freundlich fragte ich Janine also, ob ich denn einmal mit ihr in Ernie mitfahren durfte. Ohne zu zögern (was ich an ihrer Stelle getan hätte!) entriegelte Janine für mich die Beifahrertür und ich durfte auf dem samtroten Beifahrersitz von Ernie Platz nehmen. Und – problematisch für den Platz in meiner Garage und für meinen Kontostand – ich fühlte mich sofort wohl. Janine drehte am Zündschlüssel, der Boxermotor sprang sofort an und brabbelte sein Käferlied vor sich hin.

Die erste Fahrt im Käfer.

Nein, falsch. Eigentlich müsste ich schreiben: „Die erste Fahrt in Ernie“. Denn es gibt da draußen viele VW Käfer, aber nur einen Ernie. „Zuerst war es mir ja ein bisschen unangenehm, dass Ernie so viele Mängel im Lack hatte“, meinte Janine schon in Friedrichsstadt zu mir, als wir gerade über „Patina“ sprachen. Doch inzwischen ist Janineauch der gleichen Meinung wie ich. Die Patina gehört dazu, denn Ernie hat schon gelebt. Vorher gehörte der Mexico-Käfer nämlich der Nachbarin von Janine, die ihn nach einigen Jahren Standzeit aus der Garage haben wollte. Er sollte auf den Schrott. Doch zum Glück hatte Janine schon immer ein großes Herz für VW Käfer und nahm sich dem weißen Volkswagen an. Die Technik wurde fit gemacht, auch sein Blechkleid bekam eine behutsame Kur. Die Spuren des Alltags, die zeigen, das Ernie wirklich das gemacht hat, wofür er gebaut wurde – nämlich fahren – wurden gelassen. Diese Spuren machen Ernie zu Ernie.

Aber auch Janine hat dem Wagen noch ihre eigene Note gepasst – wie es sich halt gehört. Natürlich waren die roten Schuhe, die mir so auffiehlen, als sie aus dem Wagen stieg, kein Zufall. „Ich habe ja so einen kleinen Rot-Tick“, verriet mir die stolze Käfer-Pilotin. Ihr Traum? Ein samtroter Käfer. So ist es auch kein Wunder, dass Ernie die Innenausstattung eines solchen Sondermodells trägt und auch die roten Dekor-Zierstreifen wurden den weißen Zierstreifen des Originals nachempfunden. „So habe ich halt einen samtweißen Käfer!“ Und es steht Ernie so richtig gut. Janine liebt ihren Ernie wie ich meine Elsa. Und Ernie liebt Janine. Ansonsten würde er nicht so fröhlich durch die Gegend flitzen.

Umso erstaunter war ich, als sie auf einmal anhielt und mich auf den Fahrersitz verfrachtete. Ich meine, ich fahre ja wirklich gerne und freue mich auch immer wieder einmal, andere Autos auszuprobieren. Aber ich habe immer gehörigen Respekt davor, wenn Leute mir ihre Herzensautos einfach zu anvertrauen. Aber Janine drängte, genauso wie der Tesla, der versuchte an uns vorbeizukommen, also fuhr ich los. Es dauerte wohl keine fünfzig Meter und ich fand schon gefallen an so einem 34-PS-Heckmotor-Klassiker. So ein Käfer ist lauter als Elsa und auch langsamer als Elsa – aber ein wirklicher Vergleich kam mir nicht in den Kopf. So ein Käfer hat halt Charme. Halt, nein. Ernie hat halt Charme.

Wir erreichen den Parkplatz vor den Dünen. Henkelmännchen saugt noch einmal die letzten Sonnenstrahlen auf (und kann das eigentlich viel besser als die Dame in den Dünen…) und begrüßt uns ungewohnt sauber glänzend. Als wir uns entschieden hatten, nach St. Peter-Ording für ein Backfischbrötchen zu fahren, wollten wir Ernie und Elsa doch mal ein wenig Privatsphäre lassen und entschieden uns den kleinen Golf auch noch einmal auszuführen. Ein gelungener Abschluss für einen gelungenen Tag. Als Dankeschön für den schönen Tag drücke ich Janine den Schlüssel für das Cabriolet in die Hand. Sie hat sichtlich Spaß an dem Wagen, als wir die Touristen hinter uns lassen und mit Musik im Hintergrund über die Landstraße düsen. Übrigens erstaunlich, wie textunsicher diese „Sänger“ im Radio sind…

Es wird schon fast dunkel, als ich mich von Janine und Ernie verabschiede und winkend an der Auffahrt stehe, der Käfermusik lausche und den beiden roten Lichtern nachschaue, bis die Dunkelheit sie verschwinden lässt. Zufrieden atme ich tief ein. „Oh, Käferduft!“, ruft meine Mutter irgendwo hinter meinem Rücken. Ein rundherum gelungener Tag. Entspannt gehe ich in Richtung Garage, um Elsa noch einmal zu streicheln und ihr eine gute Nacht zu wünschen. Langsam geht die Neonlampe an und erleuchtet die Garage. Sofort fällt mir auf, dass Elsas Frontstoßstange ungewöhnlich schief hängt und ein paar Tropfen Wasser aus ihren Scheinwerfern langsam die Kotflügel herunterkullern.

„Du musst nicht traurig sein,“ tröste ich Elsa und wische mit einem Taschentuch das Wasser vom Lack. „Ernie und Janine haben uns versprochen, dass sie bald wieder einmal vorbeikommen. Dann haben wir alle wieder genauso viel Spaß wie heute.“

Elsa ist beruhigt. Leise schließe ich das Garagentor und drehe den Schlüssel um. Ich atme noch einmal tief ein. Ein bisschen Ernie-Duft hängt noch in der Luft. Und ich freue mich schon, wenn ich wieder diesen Geruch mal wieder in der Nase haben darf.

Also, Janine – wir freuen uns schon darauf, wenn du und Ernie wieder einmal an die Nordsee kommst. Der Tag hat echt Spaß gebracht. Du bist immer herzlich Willkommen!

Achja. Und nächstes Mal ist Ed Sheeran dann auch nicht mehr erkältet.

Ich versprechs!

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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4 Antworten zu Ernie und B… Elsa.

  1. Alex Küpper sagt:

    Hallo Lars,
    Ich verfolge deinen Neuaufbau von Elsa vom Volvoniacsforum aus und wir haben auch schon mal in Verbindung gestanden.
    Als ich den Bericht von Erni und seiner Besitzerin gelesen habe mußte ich schon schmunzeln.
    Wie du vieleicht weißt haben wir auch einen Erni (Sugga) , einen Herr Bert TGB 1314 und seit neustem und das wird dich freuen ein Finchen oder auch Josefin genanten (PV 444 )als Rohkarosserieandenken aus Wien mitgebracht.
    Aber die Geschichte erzähle ich dir gerne mal wenn es dich nach Wuppertal verschlagen sollte.

    Grüße Küppi

    • LarsDithmarschen sagt:

      Hey Küppi,
      vielen Dank für deinen Kommentar!
      Natürlich weiß ich noch, dass wir einmal in Verbindung gestanden haben 🙂

      Finchen muss ich mir doch gleich mal ansehen. Hast du schon über sie bei den Volvoniacs berichtet? Ich werde da auch mal wieder einen kleinen Zwischenstand über Elsa schreiben. Ich habe mit ihr schon viel erlebt dieses Jahr 🙂 Und nach Wuppertal werde ich sehr gerne einmal kommen!

      Schöne Grüße
      Lars

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