Schneewittchensaab

Heute möchte ich euch ein Auto vorstellen, bei dem viele Autokäufer wegrennen würden. Es soll dabei aber nicht um irgendein Auto gehen, sondern um den Schneewittchensaab!

Lasst uns über Gebrauchtwagen reden

Okay – eigentlich tu ich das auf diesem Blog ja fast immer. Doch heute möchte ich euch mal eine Frage stellen. Gibt es einen Kilometerstand, bei dem ihr einen Gebrauchtwagen nicht mehr kaufen würdet? Wo zieht ihr die Grenze? Bei 100 000 Kilometer? Vielleicht auch eher bei 200 000 km? Doch selbst wenn ihr (wie ich) nicht auf den Kilometerstand eines Autos, sondern auf den Pflegezustand schaut, werdet ihr bestimmt Leute kennen, die ihr Auto verkaufen, sobald es 200 000 oder vielleicht sogar nur 100 000 Kilometer erreicht. Mein Vater war auch so ein Autokäufer. „Ab 100 000 Kilometer muss ein Auto weg“, meinte er früher immer. „Dann kommen die Reparaturen!“ Ich weiß noch genau, wie er mit dem Kopf schüttelte, als ich mir vor vier Jahren meinen Alltagsdiesel mit 210 000 km gekauft habe. Schade, dass ich Martin damals noch nicht persönlich kannte. Martin und sein Saab 900 Turbo sind nämlich ein Dreamteam, das allen zeigen kann, dass die Zahl auf dem Kilometerzähler unwichtig ist. Und heute möchte ich euch die beiden vorstellen.

Wir springen zurück in das Jahr 2008

Zum Anfang des Jahres besaß Martin zwei Autos, auf die er auch wirklich stolz sein konnte. Für sommerliche Touren und Expeditionsfahrten nutzte er einen eibengrünen Mercedes 300D der Baureihe W123, den er liebevoll „Sportunimog“ nannte und mit dem er halb Europa bereiste. Für winterliche Touren hatte er sich gerade einen gut gepflegten, roten Saab 90 geangelt. Den seltenen Zweitürer, der eine Mischung aus Saab 900 und Saab 99 darstellt, nannte er liebevoll „Karotte„. Beide Fahrzeuge waren nicht nur sehr zuverlässig, Martin war mit seinen beiden Fortbewegungsmitteln auch mehr als zufrieden. Ich meine, wer wäre das nicht gewesen? Doch irgendwann im Laufe des Jahres 2008 stand er plötzlich vor einem Problem. Die Gegend, in der er wohnte, wurde plötzlich zur so genannten „Umweltzone“ deklariert. Leider ließen sich damals weder der Mercedes noch der Saab „zonentauglich“ umrüsten – und vom H-Kennzeichen waren beide noch ein paar Jahre entfernt. Ein neues Auto musste also her.

Für dieses neue Auto hatte Martin zwei Kriterien: Zum einen sollte es kein Neuwagen werden, denn für ihn als Vielfahrer wäre der Wertverlust einfach zu immens gewesen (Kenne ich zu gut!). Zum anderen sollte das „neue“ Auto entweder ein alter BMW, ein alter Mercedes oder auch wieder ein alter Saab werden, denn das waren Autos, mit denen Martin schon reichlich Erfahrungen gesammelt hatte und sich auch auskannte. Das erste Auto, was in dieses Raster fiel, war ein weißer Saab 900 Turbo 16 Valve – was für ein Name. Und was für ein Auto! Der weiße Saab, der als Neuwagen an einen Zahnarzt ausgeliefert wurde (Kein Wunder, dass er strahlend weiß war), lockte Martin nicht nur mit einer Klimaanlage, einer Lederausstattung und einer guten Karosseriesubstanz – auch der Preis war heiß. Außerdem hatte Martin sowieso eine kleine Schwäche für Saab 900 mit Turboladern. Sein allererstes Auto war nämlich einer. „Schlampenschlepper“ nannte er den Wagen damals. Warum eigentlich, Martin? 😉

Der Beginn einer Liebesgeschichte

Den W123 musste Martin leider für einen Preis gehen lassen, für den jeder von uns heute sofort einen mit Kusshand nehmen würde. Die Saab 90-Karotte wurde für den Kauf und die Instandsetzung des weißen 900 Turbo Sedan in Zahlung gegeben. Denn auch wenn die Karosseriesubstanz wirklich gut war, lag bei der Technik so einiges im Argen. Während der Erstbesitzer ihn immer brav nach Scheckheft gepflegt hatte, war der zweite Besitzer nicht ganz so sorgsam mit dem Auto umgegangen. Der letzte Scheckheftstempel war bei 285 000 km gesetzt worden, Martin kaufte das Auto mit 302 000 Kilometern. Das sind gerade einmal 17 000 Kilometer, in denen der zweite Besitzer es geschafft hatte, so einiges zu verpfuschen. Und es war wirklich der zweite Besitzer, der wohl leidenschaftlicher Selbstschrauber war, aber nicht wirklich Ahnung hatte, was genau er da tat… Ähm… was schaut ihr mich denn jetzt so an?

Martin steckte noch einmal den doppelten Kaufpreis in den Saab, der relativ schnell den Namen „Snövit“ (schwedisch für „Schneewittchen“) bekam. Richtige Autos brauchen eben einen Namen, das gehört sich so. Und anscheinend freute sich Snövit sehr über all die Liebe, die Martin ihr zukommen ließ. Denn seit 2008 wird Martin von dem weißen Turbo-Sedan im Alltag begleitet – und das soll schon wirklich was heißen. Denn Martin ist wirklich ein Vielfahrer. Seit dem Kauf im Jahr 2008 hat Martin auf den Saab sage und schreibe fast 380 000 km gefahren. Ja, ihr habt euch gerade nicht verlesen. Der Kilometerstand, den ihr links sehen könnt, gehört zu diesem Auto auf den Bildern. Eine ganz problemlose Performance lieferte Snövit dabei aber doch nicht ganz ab. Zwischendurch musste schon einmal das ein oder andere Blech ersetzt und auch das Getriebe überholt werden. Als bei Kilometerstand 410 000 dann ein defektes Steuergerät für einen durchgebrannten Kolbenring sorgte, machte Martin einmal Kahlschlag. Obwohl fast alle Bauteile des Motors noch weit im Toleranzbereich lagen, ließ Martin den Motor einmal komplett revidieren. Jeder andere hätte Snövit wohl auf den Schrott geworfen.

Treue zahlt sich aus

Seit der „kleinen“ Kur kutschiert Schneewittchen den Martin aber ganz problemlos durch die Gegend. Es hat mich auch wirklich kein Stück gewundert, dass der weiße Turbo-Sedan ihn und seine Frau auch ohne Mucken an die Nordsee brachte. Ich freute mich übrigens sehr, dass sich die beiden für einen Urlaub an der Nordsee entschieden. So hatte ich endlich einmal die Chance, Martin und Snövit persönlich kennenzulernen. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich auf Martins Blog gestoßen bin. Wahrscheinlich hatte ich gerade einen alten Saab im Internet entdeckt, der mich interessierte, und bin beim Googeln dann auf das Wort und den Blog „Schneewittchensaab“ gestoßen.  Ich weiß zumindest noch ganz genau, dass ich eine Woche damit verbracht habe, jeden Beitrag zu lesen. Martin kann nämlich wirklich gut schreiben Außerdem hat er eine abwechslungsreiche Bandbreite an Themen. Neben Urlaubsreisen in ferne Länder, Themen über Design und Fotografie und Geschichten aus dem Alt-Auto-Alltag, schreibt Martin dort auch über Ölanalysen. Jedes Mal lässt das Altöl aus Snövit analysieren und schaut sich auch die Ölfilter an. Schaut ruhig einmal rein – das ist echt interessant! Und Martin weiß so, dass Snövit echt topfit ist.

Das merkte ich aber auch, als der Vierzylinder-Turbo mit 2 Litern Hubraum (Saab-intern B202 genannt) hier auf den Hof gefahren kam. Ein Klang, der süchtig macht. Wahrscheinlich schaute ich noch ein wenig durcheinander, als Martin freundlich lachend aus dem Auto stieg und mich begrüßte. Ich hatte zwar schon zwei Mal mit dem Gedanken gespielt, mir einen Saab zu kaufen (Einmal rutsche Elsa, einmal Hein dazwischen), doch so richtig genau hatte ich mir noch nie einen angesehen. Einen Saab gab es sogar einmal bei uns in der Familie. Das war ein roter 9-3 der ersten Generation als Fünftürer. Den fand ich als kleiner Junge recht schick, doch wirklich viel konnte ich damals noch nicht damit anfangen. Inzwischen hat sich das glücklicherweise geändert.

Eindeutig angesteckt!

Ansonsten hätte ich wahrscheinlich auch nicht so viel Spaß dabei, als Martin mit mir über die Landstraßen Dithmarschens geflitzt ist. Seitdem weiß ich, warum er immer von den wunderbaren Saab-Sitzen geschwärmt hat. Und ich weiß auch, was für eine tolle Straßenlage ein Auto mit Frontantrieb haben kann – wobei Martin hier mit einem sportlicheren Fahrwerk nachgeholfen hat. Über den Sound rede ich hier lieber nicht, ansonsten ist der Text nachher nur für Leser über 18 freigegeben – oder ich bekomme Ärger. Saab sind wohl eindeutig Autos, die man nur versteht, wenn man selbst einmal in einem Auto aus Trollhättan mitfahren durfte. Ich war wirklich erstaunt, wie knackig sich Snövit trotz ihrer Kilometerleistung noch anfühlte. Okay, Martin verriet mir dann, dass die Karosserie inzwischen schon etwas weichgeklopft sei – ein altes Saab 900-Leiden. Um ehrlich zu sein – gemerkt habe ich es nicht. Es kann also nicht so schlimm sein wie die weiche Karosserie eines Audi Cabriolets. Die hat mein Popometer eindeutig mehr gespürt.

Und selbst wenn ich sie gespürt hätte – ich glaube, es wäre mir egal gewesen. Irgendwann überließ Martin mir ganz überraschenderweise den Fahrersitz. Eigentlich hätte ich dankend ablehnen müssen – das weiß ich zumindest heute. Einen Saab mit Turbo fahren macht nämlich unheimlich süchtig. Ich kann treue Saabfans wirklich verstehen und suche seitdem auch immer wieder nach günstigen Exemplaren. Doch leider (oder zum Glück?) sind die Autos schon lange nicht mehr günstig. Ein bisschen kam ich mir übrigens wie ein Fahranfänger vor, als mich an das Steuer setze. Wenn man nämlich das Bremspedal tritt und dabei die Handbremse zieht, stellt man bei den Steilschnauzern, wie Snövit einer ist, die Handbremse nach. Und das ist ziemlich doof, denn dann fährt das Auto nicht mehr. Darauf galt also zu achten. Ansonsten lässt so ein 900 Turbo aber wunderbar fahren. Er ist komfortabel und gibt trotzdem noch genug Rückmeldung, was da gerade auf der Straße so passiert. Und er hat Druck. Fast hätte ich die ganze Zeit nur auf die tanzende Ladedruckanzeige und nicht auf die Straße geschaut. Snövit fährt wirklich richtig gut. Ich glaube, es gibt viele 900 Turbos, die mit einem Viertel der Laufleistung deutlich schlechter fahren.

Das Dreamteam

Kurz nachdem Martin Snövit kaufte und herrichten ließ, erfuhr übrigens, dass der Saab 90 doch „zonengerecht“ hätte hergerichtet werden können. Doch ich glaube, den Kauf von Snövit bereut Martin bis heute nicht. So manches Mal hat er zwar schon daran gedacht, Snövit zu verkaufen, doch irgendwie ist es bisher noch nichts geworden. Mal ging sie kurz vor dem Verkauf kaputt, mal sprang der Käufer ab. Ich glaube, Snövit möchte Martin einfach nicht verlassen, schließlich haben die beiden in zwölf Jahren schon einiges erlebt. Neben all den Reisen war Snövit auch das Hochzeitsauto von ihm und seiner Frau. Auch wenn  an einigen Ecken und Kanten der Rost schon ein bisschen knuspert, das Leder des Fahrersitzes schon bessere Zeiten gesehen hat und der Motorkabelbaum sich so langsam auflöst, bin ich mir sicher – Snövit und Martin werden sich nicht aufhalten lassen. Einmal hat es ein Audi A6 versucht und die beiden seitlich gerammt. Während Snövit ein paar Knicke in den Türen davonzog (sie öffneten und schlossen aber noch ganz normal), zog der Audi den Kürzeren und war nicht mehr fahrbereit. Zwei gebrauchte Türen später waren sie wieder unterwegs. Seit wir uns im letzten Sommer getroffen haben, ist der Kilometerstand inzwischen übrigens auf über 680 000 gewandert. Ich bin mir sicher, die Millionen-Kilometermarke bekommen die beiden noch voll. Martin, falls du Snövit aber doch einmal in andere Hände geben möchtest, dann sag mir unbedingt Bescheid. Ich wüsste ein gutes Zuhause. Viel lieber wäre es mir aber natürlich, wenn du mit Snövit wieder einmal vorbeischaust.

Du bist immer herzlich willkommen!


Schöne Grüße an Martin! Ich freue mich schon sehr darauf, wenn ihr einmal wieder euren Urlaub am Meer verbringt. Vielen Dank auch, dass ich das Bild benutzt durfte. Schneewittchensaab ist wirklich immer ein Blick wert!

Über Watt'n Schrauber

Autoverrückt, restauriert einen Buckelvolvo mit wenig Budget, mag Fotografieren, Tanzen und ist manchmal wohl ein wenig durcheinander. Und mag Norddeutschland.
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3 Antworten zu Schneewittchensaab

  1. turboseize sagt:

    Der angesprochene „Schlampenschlepper“ war übrigens nicht mein erstes, sondern mein viertes Auto. Ein eisblauer 900 turbo 8V sedan mit roter Innenausstattung. Die Geschichte hinter dem Namen ist auch kein Geheimnis. Urheber ist ein unbekannter Student:
    Im Frühjahr 2005 steht ein Saab 900 turbo 8V vor einer Schwabinger Villa. Innen gibt das wohllöbliche Corps Suevo-Guestphalia eine Mottoparty; draußen schnappt der Eigner, der aus dienstlichen Gründen leider weitgehend nüchtern bleiben muß, etwas frische Luft und unterhält sich mit zwei anderen Automobilenthusiasten. Die Fahrertür ist geöffnet; die Innenraumbeleuchtung scheint auf das bordeauxrote Leder der Sitze und das roséfarbene Plüsch der Türverkleidungen. (Ja, das ist kein schnödes Velours; bei SAAB-Scania hieß das „lyxplüsch“.)
    Aus der Glasfront der Villa dringen gedämpfte Bässe; das vielfarbige Licht der Diskokugeln spiegelt sich in den glanzgedrehten, makellosen Ronal-Turbo-Felgen des Saabs.
    Eine Gruppe Studenten betritt das Gelände und strebt dem Eingang zu. Laut vernehmlich sagt einer der neuen Partygäste, der seine Herkunft aus dem ehemaligen wirtschaftlichen Herz der Bundesrepublik nicht verleugnen kann, zu seiner reizenden Begleitung: „Boa, wat nen Schlampenschlepper!“
    Diesen Namen wurde das Auto, solange ich es besaß, nie wieder los.

    Die Frau des Käufers taufte den Wagen allerdings auf „Eisprinz“ um. Vermutlich war ihr ein „Schlampenschlepper“ als Hochzeitsauto zu unseriös.
    Der Wagen fährt seitdem übrigens in Deiner unmittelbaren Nachbarschaft.

  2. turboseize sagt:

    Einen Schmunzler muß ich aber noch anbringen: ich hatte Lars nachdrücklichst darauf hingewiesen, daß die Pedalkräfte in dem Auto deutlich höher seien als in neueren Autos und man, wie der Angelsachse sagt, für alle praktischen Anwendungsfälle davon ausgehen solle, daß dieses Auto keine Bremen habe.
    Der Spruch ist grundsätzlich weiterhin gerechtfertigt. Aber gegenüber jemanden, der einen bremskraftverstärkerlosen Buckelvolvo fährt, war er vielleicht etwas deplaziert…
    😉

    • Klaus sagt:

      Och, Lars hat sogar meinen CX gebändigt und bei dem ist das mit dem Bremsen genau umgekehrt. Man braucht den Fuß nur in die Nähe des Bremspedal zu bringen und muss dann eigentlich nur denken, man möchte Bremsen und der CX geht voll in den Anker. Das Wort „Pedalkräfte“ kennt der Franzose nicht mal aus dem Wörterbuch.

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